Mit Allahs Segen
Eigentlich untersagt der Koran Versicherungen. Mithilfe von Solidargemeinschaften umgehen die Anbieter dieses Verbot. Seit Jahren wächst der Markt für Policen nach islamischem Recht zweistellig. Nur nicht in Deutschland – trotz der über vier Millionen Muslime, die hier leben.
Jakarta vor achteinhalb Jahren. Die Präsentation beginnt mit Gebet und Getrommel. Der damalige Allianz-Statthalter Jens Reich schwingt sich auf die Bühne. Verkündet wird, dass Europas größte Versicherung nun auch Policen verkaufen wolle, die mit der Scharia, also dem islamischen Recht, vereinbar seien. Schließlich seien 80 Prozent der 210 Millionen Indonesier Muslime, und für sie kämen klassische Versicherungen nicht infrage, sagte Reich an jenem Abend in der indonesischen Hauptstadt. Zudem lebten weltweit 1,4 Milliarden Muslime, die über ein Vermögen von 2,5 Billionen Dollar verfügen, Tendenz: rasant steigend. Gerade einmal vier Milliarden davon seien Scharia-konform in Versicherungen angelegt.
Im größten muslimischen Land sollte damals eine Wachstumsstory beginnen. Über die Tochtergesellschaften Allianz Life Indonesia und Allianz Utama Indonesia wollte das deutsche Unternehmen auf den immerhin über 17.000 Inseln des Landes künftig fondsgebundene Lebens- sowie Feuer- und Autoversicherungen verkaufen. Nach Regeln, die der Koran erlaubt. Die Allianz sollte nicht die einzige europäische Firma bleiben, die Muslime als Kundschaft mit Potenzial für sich entdeckte. MunichRe, die Hannover Rück, AXA oder Zurich folgten der Allianz nach Jakarta, Malaysia, Saudi-Arabien oder Bahrain.
Verbotenes Glücksspiel
Streng genommen verbietet der Koran nicht nur den Zins oder Investitionen in Drogen, Alkohol, Waffen, Pornografie und Glücksspiel, sondern auch Versicherungen. Das hat die Islamic Fiqh Academy in ihrer 2. Sitzung in Jeddah schon im Dezember 1995 verfügt. Weil weder Versicherer noch ihre Kunden beim Abschluss der Police wissen, ob der Schadensfall je eintritt, sehen die Koranexperten in dieser Unsicherheit ein verbotenes Glücksspiel. „Das Versicherungsprinzip beruht nun einmal auf Unsicherheit, die die Mehrheit der Rechtsgelehrten ablehnt“, sagt Zaid el-Mogaddedi, Gründer und Geschäftsführer des Instituts für islamisches Banken- und Finanzwesen (IfIBaF).
Die Lösung dieses Dilemmas liefert eine 1.400 Jahre alte Idee: Das Prinzip lautet Takaful, was im Arabischen so viel bedeutet wie gegenseitige Garantie. Auch die islamkonformen Versicherungsgesellschaften teilen mit ihren Kunden Gewinne und Verluste. Die Kunden zahlen in einen Fonds ein, der das Kapital Scharia-konform investiert. Die Versicherung verwaltet den Fonds, schüttet im Schadensfall Überschüsse an die Versicherten aus und verdient allein an der Gebühr für diese Transaktionen.
Für Ludwig Stiftl, Scharia-Experte bei der MunichRe, ist die „Takaful-Konstruktion nur ein erster Schritt auf dem Markt für islamische Versicherungen, dessen Modellbildung noch längst nicht abgeschlossen ist“. Aber es ist eine Konstruktion, die in der Welt immer mehr Kunden findet, zumindest in der muslimischen. Die Steigerungen bei den Prämien sind beachtlich. Gleichzeitig wächst der Wettbewerbsdruck, kaum ein Anbieter schreibt daher noch schwarze Zahlen. Seit die Allianz damals in Jakarta losgelegt hat, ist das weltweite Prämienaufkommen aller Marktteilnehmer laut Beratungsunternehmen Ernst & Young auf 14,7 Milliarden Dollar gestiegen. Mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 16 und 22 Prozent. Für 2015 schätzen die Berater das Beitragsvolumen auf über 17 Milliarden Dollar.
„Während sich die Höhe der Prämien in nicht einmal zehn Jahren vervierfacht hat, hat sich die Zahl der Takaful-Unternehmen mehr als verdreißigfacht“, sagt el-Mogaddedi. Inzwischen kämpfen auf dem Markt mehr als 300 islamische Finanzinstitute in 75 Ländern, die vor allem Lebens- und Unfallversicherungen, aber inzwischen auch Schiffs- und Warenversicherungen verkaufen. Angesichts dieser harten Rivalität ist es kaum überraschend, dass laut Ernst & Young die wenigsten Anbieter eine Rendite erzielen. Ausnahme ist Malaysia, weil dort die Aufsicht an die Institute geringere Kapitalanforderungen stelle, sagt der Experte für islamische Finanzgeschäfte, Philipp Wackerbeck. „Im Vergleich zum Gesamtgeschäft ist das Prämienaufkommen der westlichen Anbieter von Scharia-Policen in Indonesien, Malaysia oder Saudi-Arabien aber verschwindend gering“, sagt Wackerbeck.
Geringer Zuspruch hierzulande
Und in Deutschland? Hier leben etwa 4,3 Millionen Muslime. Die meisten von ihnen haben türkische Wurzeln. Rund 70 Prozent geben laut einer Studie des IfIBaF an, durchaus religiös zu leben. Sie verfügen über ein Vermögen von circa 18 bis 25 Milliarden Euro. „Bis heute ist das Luxemburger Unternehmen Atlanticlux die einzige europäische Versicherung, die in Deutschland eine Islam-konforme Lebens- und Altersvorsorge anbietet“, sagt Islam-Experte el-Mogaddedi. Die europäischen Versicherer scheuten sich unter anderem vor dem Geschäft, weil ihnen der Zugang zur muslimisch geprägten Gemeinschaft fehle. „Das wird sich auch nicht so schnell ändern“, sagt Stiftl von MunichRe. Er sieht für ganz Europa in naher Zukunft kein großes Potenzial. Zwar bestehe grundsätzlich auch bei den westlichen Muslimen – je nach Land und Ethnie – Interesse an Scharia-konformen Produkten. Allerdings seien die Schwierigkeiten bei Verbrauchern und Aufsichtsbehörden deutlich größer als in den Herkunftsländern, sagt Stiftl: So gebe es zum Beispiel in Europa nicht genügend Scharia-Experten, die die europäischen Sprachen beherrschen würden.
Text: Marcus Pfeil