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Dossier: Länger leben (© gettyimages / Image Source)

Dossier: Länger leben

Die Menschen leben immer länger und sind auch länger fit. Die Entwicklung ist ein zivilisatorischer Erfolg, wirft aber auch neue Fragen auf – für jeden Einzelnen wie für die Gesellschaft. Wie füllen wir den Zugewinn an Lebenszeit sinnvoll aus? Und was bedeutet die steigende Lebenserwartung der Menschen für die Alterssicherung?

13.05.2025
Wie sich die Lebenserwartung entwickelt hat

Ein großer zivilisatorischer Erfolg Link kopieren

Die Menschen in Deutschland leben immer länger. So hat sich die Lebenserwartung seit Ende des 19. Jahrhunderts mehr als verdoppelt. Betrug sie um 1880 für Neugeborene noch 41 Jahre (Jungen) beziehungsweise 44 Jahre (Mädchen), so können neugeborene Jungen inzwischen auf durchschnittlich 90 Jahre hoffen, Mädchen gar auf knapp 93 Jahre. 

 

Der Anstieg der Lebenserwartung ist ein großer zivilisatorischer Erfolg, der viele Ursachen hat. Medizinische Fortschritte spielen eine große Rolle, aber auch die besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie das gestiegene Gesundheitsbewusstsein der Menschen. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts ist damit zum ersten Mal das entstanden, was Soziologen „sichere Lebenszeit“ nennen. 

Es gibt den Menschen die Chance, langfristige Pläne schmieden zu können. Es bedeutet, mehr Zeit zur Selbstverwirklichung und für die persönliche Entfaltung zu haben: für die Ausbildung, für Reisen oder Hobbys. Und es bedeutet Entschleunigung und mehr Flexibilität im Leben.

Auch, weil sich die hintere Lebensphase deutlich verlängert: der Ruhestand. Als die gesetzliche Rentenversicherung 1891 in Deutschland eingeführt wurde, erreichte überhaupt nur ein Drittel der Menschen das Renteneintrittsalter, das damals noch bei 70 Jahren lag. Von den heute Geborenen in Deutschland vollenden mehr als 90 (!) Prozent das 67. Lebensjahr. Und diejenigen, die es schaffen, haben dann noch etwa 25 Jahre vor sich. Im Durchschnitt wohlgemerkt.

Für Soziologen passt die traditionelle Dreiteilung des Lebens in Kindheit, Erwachsenenalter und Rente daher längst nicht mehr. Sie sehen eine vierte Phase angebrochen: die Alterspubertät. Gemeint ist die Zeit zwischen dem Beginn des Ruhestands und dem Zeitpunkt, an dem die körperlichen Einschränkungen so groß sind, dass man wirklich sagt: „Jetzt bin ich alt.“ Es ist eine aktive Phase, eine Zeit der Selbstverwirklichung und des Nachholens verpasster Gelegenheiten. Eine Phase also, die auch noch mit hohen finanziellen Ansprüchen verbunden ist. 

Warum die Wahrnehmung der Menschen der Realität hinterher hinkt

Deutsche unterschätzen Lebenserwartung um sieben Jahre Link kopieren

Das Wissen der Menschen über ihre statistische Lebenserwartung ist ziemlich lückenhaft. Je nach Umfrage unterschätzen die Deutschen ihre Lebensdauer um bis zu sieben Jahre. Vor allem den Jüngeren fällt eine realistische Prognose schwer – was nicht sonderlich überrascht. Denn meist orientieren sie sich an den Lebensdaten ihrer Groß- oder Ur-Großeltern und übersehen dabei, dass die Entwicklung weiter voranschreitet – auch wenn die Dynamik zuletzt etwas nachgelassen hat. 

Die Unwissenheit über die eigene Lebensdauer ist jedenfalls keine Petitesse. Viele finanzielle Entscheidungen hängen von der persönlichen Lebenserwartung ab. Menschen, die sich kein allzu langes Leben zubilligen, sorgen weniger vor – mit der Folge, dass das Geld im Alter nicht ausreicht. Oder sie sparen sich das Sparen gleich ganz – nach dem Motto: Das brauche ich eh nicht.

Auch die Entscheidung für oder gegen eine lebenslange Rente hängt davon ab, wie hoch die Menschen ihre Lebenszeit ansetzen. Eine realistische Annahme der eigenen Lebensdauer könnte somit auch zu einer höheren Wertschätzung lebenslanger Renten führen. Deshalb sollte das Wissen darüber auch stärker vermittelt werden, beispielsweise im Rahmen der Finanzbildung oder durch den Ausweis der statistischen Lebensdauer in der digitalen Rentenübersicht.

„Die Aufklärung über die Lebenserwartung ist ein wichtiger Teil der Finanzbildung.“
Moritz Schumann, Stellv. GDV-Hauptgeschäftsführer

Zumal die Menschen dann auch erkennen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, noch länger zu leben als der Durchschnitt. Von den 65-jährigen Frauen erlebt nach Daten des Statistischen Bundesamtes immerhin fast die Hälfte (49,5 Prozent) ihren 90. Geburtstag. Von den 65-jährigen Männern schafft das mehr als ein Drittel (34,8 Prozent).

Einfluss auf die Altersvorsorge der Menschen hat aber nicht nur die persönliche Lebenserwartung, sondern auch das individuelle Altersbild. Gerade Themen wie Gesundheit oder Alter sind stark mit negativen Aspekten besetzt – mit Krankheit oder Verlust. Das gibt es, doch eben nicht nur. Der Ruhestand bedeutet auch Aufbruch und Abenteuer – verbunden mit noch viel Lebensqualität. Eine stärkere Betonung der Vorteile des Ruhestands würde die Vorfreude der Menschen darauf erhöhen. Und desto eher wären sie dann bereit, sich mit den finanziellen Aspekten des Alters zu befassen.

Was die steigende Lebenserwartung für die Altersvorsorge bedeutet

Lebenslange Leistungen sind unverzichtbar Link kopieren

Die Deutschen leben immer länger, sagt die Statistik. Was sie jedoch nicht verrät: Wie viel Lebenszeit jedem Einzelnen vergönnt ist. Die Menschen können Pech haben und schon mit 75 Jahren sterben. Oder zu den Glücklichen gehören, die 90 oder noch viel älter werden. Und diese Ungewissheit macht auch die finanzielle Absicherung des Ruhestands so schwierig. Schließlich sollte das Geld bis zum Lebensende reichen und nicht vorher schon zur Neige gehen.

Eine private Rentenversicherung löst dieses Dilemma. Sie zahlt unabhängig davon, wie alt der Kunde wird und nimmt damit den Menschen das Risiko ab, länger zu leben als das Geld reicht. Es ist die einzige Form der Altersvorsorge, die mit den Menschen gewissermaßen mit „altert“. Und ist damit für die finanzielle Absicherung des Ruhestands unverzichtbar.

Möglich wird das durch die Absicherung des Todesfallrisikos im Kollektiv. Ein Versicherer kalkuliert die monatliche Rente für seine Kunden auf Basis der geschätzten mittleren Lebenserwartung. Für diejenigen, die früher sterben, muss er weniger Renten zahlen und kann das dadurch freiwerdende Vermögen nutzen, um die Leistungen für die besonders Langlebigen zu finanzieren. So wird das finanzielle „Risiko“ eines hohen Alters beherrschbar, das für einen Einzelnen nicht kalkulierbar ist.

Der lebenslangen Rente kommt künftig auch deshalb eine größere Bedeutung zu, weil sich der Charakter der privaten Altersvorsorge verändert. Durch den demografischen Wandel geraten die sozialen Sicherungssysteme unter Druck. Die private Altersvorsorge dient in Zukunft daher immer weniger der Finanzierung irgendwelcher Extras. Das Geld wird vielmehr zur Sicherung des gewünschten Lebensstandards im Alter benötigt. Es geht darum, das Geld für Miete, Nahrungsmittel, Kleidung oder den kleinen Urlaub zu haben. Und zwar dauerhaft.

Wie die steigende Lebenserwartung die Politik herausfordert

Interessensausgleich zwischen Jung und Alt Link kopieren

Die längere Lebensdauer der Menschen verschärft den Druck auf die sozialen Sicherungssysteme. Nicht nur, dass es immer mehr Ältere gibt, sie beziehen zugleich länger Rente. Lag die durchschnittliche Rentenbezugsdauer der Männer in Westdeutschland 1960 noch bei knapp zehn Jahren, sind es inzwischen mehr als 18 Jahre. Westdeutsche Frauen beziehen mittlerweile gut 21 Jahre Rente – zehn Jahre mehr als zu Beginn der 1960er-Jahre. 

Auch die Situation in der Kranken- und Pflegeversicherung spitzt sich zu. Eine Schattenseite der höheren Lebenserwartung ist beispielsweise die deutliche Zunahme typischer Alterserkrankungen wie Demenz oder Diabetes. Das bedeutet: Die Kosten für die Behandlung und Betreuung der Älteren steigen. Die längere Lebenserwartung betrifft aber noch viele weitere Lebensbereiche: von der altersgerechten Gestaltung der Städte bis hin zur Teilhabe an politischen Prozessen.

Mit all diesen Fragen muss sich die Politik auseinandersetzen – und dabei stets die Interessen von Jung und Alt berücksichtigen. Vorschläge wie die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Entwicklung der Lebenserwartung sollen helfen, die finanziellen Lasten des demografischen Wandels fair zwischen den Generationen zu verteilen. Vor diesem Schritt schreckt die Politik bislang allerdings zurück.

Die schwarz-rote Bundesregierung setzt mit der geplanten Aktivrente, mit der sie die Weiterarbeit über das Renteneintrittsalter hinaus fördern will, stattdessen auf freiwillige Lösungen. Damit zeigt sich in der Politik zumindest mal schon ein wichtiger Bewusstseinswandel: Nämlich, dass sich das Leistungsvermögen von Menschen nicht an starren Altersgrenzen festmachen lässt – und dass die steigende Zahl von Rentnern nicht (nur) eine Herausforderung, sondern zugleich eine Lösung ist. 

Durch eine stärkere Nutzung des Potenzials der Älteren ließen sich die Folgen des demografischen Wandels besser abfedern. Mehr Ruheständler in Ehrenämtern, mehr Frauen und Männer, die über das Renteneintrittsalter hinaus freiwillig länger arbeiten, könnten beispielsweise helfen, den Fachkräftemangel zu lindern. Davon profitieren zum einen die Älteren, die länger sozial eingebunden sind. Aber auch das Land und die Gesellschaft insgesamt. 

Um das Interesse für solche Angebote zu erhöhen, braucht es abseits finanzieller Anreize auch ein modernes Altersbild. Dafür kann auch die Politik einiges tun, indem sie von einer defizitorientierten Sichtweise auf das Alter abrückt und stärker die Potenziale dieser Lebensphase sieht. Die Befunde der Wissenschaft sind eindeutig: Nie waren die Älteren körperlich und geistig fitter, nie waren sie aktiver als heute.