„Wir hinken dem Klimawandel in der Anpassung hinterher“
Wie verändert der Klimawandel Naturgefahren wie Sturm, Hagel und Starkregen? Mit welchen Folgen für menschliche Siedlungen, für Wohnen, Wohngebäude und -infrastruktur? Welche Chancen bieten sich, welche Konflikte gibt es? Ein Gespräch mit Klimafolgenforscher Fred Hattermann.
Herr Hattermann, wie gut ist Deutschlands Baukultur auf zunehmende Wetterextreme eingestellt?
Prof. Fred Hattermann: Nicht gut. Wir hinken dem Klimawandel in sehr vielen Bereichen in der Anpassung hinterher, das betrifft auch die Bauleitplanung und -ausführung.
Was erwartet uns denn?
Hattermann: Wir sind global immer noch auf dem schlimmsten Emissionspfad. Deutschland liegt schon jetzt zwei Grad über der Temperatur des vorindustriellen Zeitalters, schon in 24 Jahren können es drei bis vier Grad sein. Der Osten und Nordosten werden trockener, es gibt extreme Hochwasser wie 2021 an der Ahr oder 2013 an der Elbe. Die Wetterextreme nehmen weiter zu, weil sich mit der Erderwärmung unser Wasserkreislauf verändert und weil Wetterlagen länger über einer Region verharren.
Welche Risiken verstärken sich vor allem?
Hattermann: Das betrifft im Grunde alle. Weil die wärmer werdende Luft mehr Wasser aufnehmen kann, regnet es intensiver und häufiger. Unseren Berechnungen nach hat sich das Hochwasserrisiko an der Donau etwa verdoppelt. Was früher ein 100jähriges Hochwasser war, kann jetzt mit statistischer Wahrscheinlichkeit alle 50 Jahre auftreten. Auch kleinräumige Ereignisse wie Starkregen werden intensiver. Mit potenziell verheerenden Folgen.
Welche Folgen?
Hattermann: Regnet es beispielsweise im Mittelgebirge in ein Tal, können Wasser, Schlamm und Gerölllawinen ganze Dörfer überschwemmen. Unter Brücken verkanten sich mitgeschwemmte Stämme oder Ähnliches, sodass das Wasser sich staut, oder die Brücke wird niedergerissen. Damit kann auch der ganze Ort von der Außenwelt, auch von Hilfe, abgeschnitten sein.
Was ist mit Stürmen und Hagel?
Hattermann: Größere Unsicherheit besteht bei den Stürmen. Nach verschiedenen Projektionen werden Stürme eventuell intensiver, aber wahrscheinlich nicht häufiger auftreten. Auch Hagelereignisse werden wahrscheinlich häufiger und intensiver – das gefährdet neben Menschen vor allem Hausdächer, Solaranlagen, Fahrzeuge.
Auch die Hitze nimmt zu …
Hattermann: Ja, auch in Deutschland werden wir noch mehr Hitzetage über 30 Grad und mehr tropische Nächte über 20 Grad haben. Das ist eine Belastung vor allem für vulnerable Menschen und für all diejenigen, die im Freien arbeiten. Hitze und Dürre bedeuten auch ein erhöhtes Feuerrisiko, für Gebäude, für die Landwirtschaft, für den Wald. Wir erwarten auch in den wärmer werdenden Wintern mehr Niederschlag. Das wird nicht immer Schnee sein, aber es kann auch Schnee sein, der auf die Hausdächer drückt. Durch das Auftauen des Permafrostbodens kommt es in Gebirgen zu Hangrutschungen, wie wir sie beispielsweise im vergangenen Sommer in der Schweiz erlebt haben.
Werden die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur also steigen?
Hattermann: Wenn die Einzelereignisse mehr und häufiger werden, dann gibt es auch mehr kombinierte Ereignisse, also zum Beispiel Starkregen verbunden mit einem Flusshochwasser. Die Stadt, über die auch der Starkregen geht, entwässert aber in den Fluss. Also staut sich das Wasser in der Stadt zusätzlich …Oder, wenn nach langer Trockenheit Starkregen fällt. Den kann der ausgedörrte Boden schlecht aufnehmen. Es kommt zu Überschwemmung, zu Hangrutschen.
Was bedeutet das nun für die Baukultur – gegenwärtig und auch perspektivisch?
Hattermann: Beim Bauen geht es ja in erster Linie um die Statik. Für alle Bauten – ob Deiche, Brücken oder Wohngebäude. Die Berechnungen für das Überschwemmungsrisiko beispielweise sind auf ein Bemessungshochwasser, zum Beispiel das 100-jährliche Hochwasser, ausgelegt. Diese Berechnungen sind nicht mehr ausreichend, sie müssen dringend überarbeitet werden. Es gibt einzelne Bundesländer, die das schon tun. Bayern und Baden-Württemberg legen beispielsweise beim Deichbau 15 Prozent Klimafaktor obendrauf.
Betreffen diese überholten Berechnungen auch andere Gebäude und Infrastruktur?
Hattermann: Ja, ein anderes Beispiel: Die Drainierung von Parkplätzen entspricht nicht mehr den Mengen an Starkregen, die zu erwarten sind. Das gilt ebenso für Hausdächer. Der Klimawandel stellt unsere komplette Infrastruktur vor neue Herausforderungen.
Was ist zu tun?
Hattermann: Das eine ist: Veränderte Risiken in der Bauleitplanung zu berücksichtigen. Im Grunde müssen diese Risiken für alle Bauten und für die Infrastruktur, nicht nur für die kritische Infrastruktur, von Fachleuten neu berechnet werden. Das gilt für alle Naturgefahren. Das Zweite ist: Wo wird gebaut? Noch immer wird zu viel in Hochwasserrisikogebieten gebaut. Weil es billiger ist. Oder weil es schön ist, direkt am Fluss zu wohnen. Da brauchen wir strikte Verbote, weil das Besitz und Leben gefährdet. Das Dritte: Viele Städte und Gemeinden haben Klimaanpassungspläne. Doch was davon ist wirklich schon umgesetzt? Es fehlt in vielen Bereichen und Regionen Konsequenz und Tempo. Wir brauchen flächendeckende Klimaresilienz.
Welche Modelle baulicher Anpassung kennen Sie?
Hattermann: Wir propagieren die Schwammstadt, weil sie hochwasserresilient ist, vor Hitze schützt und gleichzeitig zu einem guten Klima beiträgt. Denn es ist teurer, sich an die steigende Erderwärmung anzupassen, als sie zu begrenzen. Insofern sind alle Projekte wichtig, die Klimaanpassung mit Klimaschutz verbinden. Viele deutsche Städte, etwa Berlin, Hamburg oder Hannover, bauen neue Wohnquartiere als Schwammquartiere: mit Versickerungsflächen für Regenwasser, mit Dach- und Fassadenbegrünung für gute Luft und gute CO2-Bilanz. Das Schwammprinzip lässt sich auch auf einzelne Wohngebäude und Grundstücke anwenden. Wo es aber naturgemäß langsamer vorangeht, ist bei der schon bestehenden Bausubstanz.
Länder wie die Niederlande verlegen Wohnquartiere aufs Wasser, weil schwimmende Häuser hochwasserresilient sind. Sind diese Wohnquartiere auch Modelle für Deutschland?
Hattermann: Schon, doch nur für einen kleinen Teil der Menschen. Die Wasserflächen sind ja begrenzt und Sie können nicht eine ganze Stadt in schwimmende Gebäude auf den Fluss umsiedeln.
Konkurrieren Stadtplanung, Wohnungsbau und Klimaanpassung um Flächen?
Hattermann: In der Praxis ist das bisher noch so. Und noch immer versiegelt Deutschland täglich zu viele neue Flächen für Siedlung und Verkehr. Diese Flächen gehen als Freiflächen für Vegetation und Artenvielfalt, also für Klimaschutz, und als Versickerungsflächen verloren. Auch hier ist die Schwammstadt ein gutes Beispiel, weil sie grüne Versickerungsflächen in die Wohn-quartiere integriert.
Was braucht es noch?
Hattermann: Neue Baumaterialien und den Mut, sie einzusetzen. Holz ist ein gutes nachhaltiges Baumaterial, es ist ein nachwachsender Rohstoff und es bindet viel CO2. Oder schauen Sie sich die verglasten Fassaden von Hochhäusern an. Bei hohen Temperaturen sind das Hitzefallen. Das lässt sich mit anderen Materialien beheben. Da muss auch noch viel erforscht werden.
Mit welchem Ziel?
Hattermann: Von vielen Materialien wissen wir noch gar nicht, wie sie auf Wetterextreme reagieren. Ja, wir kennen verflüssigten Asphalt bei Hitze oder sich ausdehnende Schienen. Doch was ist, wenn sich bei Hitze auch Stromkabel ausdehnen, durchhängen und zur Gefahr werden? Und: Wie lassen sich diese resilient gestalten? Das betrifft auch Bauten. Neubauten lassen sich von Beginn an klimaresilient gestalten. Doch was ist mit Bestandsbauten?
Was gehört neben angepasster Infrastruktur und Wohnkultur noch zu einer stabilen Klimaresilienz?
Hattermann: Das System der Vorwarnungen vor Katastrophen, das Management im Katastrophenfall. Bei der schweren Ahrtal-Flut 2021 haben wir die Lücken gesehen. Und: Die Menschen müssen aufgeklärt werden, was sie bei Vorwarnungen machen müssen, und auch danach handeln. Wenn Häuser bei Hochwasser evakuiert werden müssen, dann sollten die Menschen ihre Häuser auch verlassen, um ihr Leben nicht zu gefährden.
Naturgefahrenreport
Das Interview stammt aus dem aktuellen Naturgefahrenreport des GDV. Den vollständigen Report können Sie sich hier herunterladen.
Ein Datenservice ergänzt den Naturgefahrenreport. Differenzierte Grafiken, Tabellen und Karten belegen die Schäden durch Naturgefahren an Gebäuden, Hausrat, Kraftfahrzeugen, Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft. Den Datenservice finden Sie hier.