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Konjunktur & Märkte

„Es geht um die Erhaltung des Wohlstands in Deutschland“

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Prof. Dr. Michael Hüther, hält die Rentenpolitik der Bundesregierung bisher für wenig überzeugend. Zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit empfiehlt er im Interview die Abschaffung von mindestens einem Feiertag.

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© IW

Herr Prof. Hüther, das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist im ersten Quartal mit einem Plus von 0,4 Prozent besser ausgefallen als erwartet. Bleibt das IW bei seiner eher zurückhaltenden Konjunkturprognose, die für 2025 eine Schrumpfung der deutschen Wirtschaft um 0,2 Prozent beinhaltet?

Michael Hüther: Die leicht positive Entwicklung im ersten Quartal 2025 wird hauptsächlich durch den Staatskonsum sowie den moderat ansteigenden Privatkonsum getragen, zumal die Inflation wieder im Normalbereich liegt. Dieser Faktor stärkt die Konsumlaune der Verbraucher. Allerdings wird das gesamtwirtschaftliche Wachstum durch den schwachen Export sowie die anhaltende Investitionskrise der Unternehmen gebremst. Für das laufende Jahr stehen die Zeichen nicht auf Verbesserung, vor allem angesichts der geopolitischen Entwicklungen und zunehmenden Fragmentierung der Weltwirtschaft. Bis zum Sommer dürfte es rund drei Millionen Arbeitslose geben.

Wie stark werden zusätzliche US-Zölle die ohnehin angeschlagene Exportindustrie in Deutschland treffen? Wie sollte die EU auf die US-Zollpolitik reagieren?

Hüther: Die am sogenannten Liberation Day angekündigten Zölle gegen die EU würden in den nächsten drei Jahren einen Schaden von 200 Milliarden Euro für Deutschland verursachen, was 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Zölle schaden Deutschland aber nicht nur direkt, sondern vor allem indirekt, weil die globale Nachfrage sinkt und die wirtschaftliche Unsicherheit steigt. Deutschland als exportorientierte Volkswirtschaft leidet besonders stark, wenn sich die Weltwirtschaft abschwächt. 

Die EU muss mit US-Präsiden Donald Trump auf Augenhöhe verhandeln und dazu mutig eigene Druckmittel in die Hand nehmen. Dazu gehören eine Digitalabgabe für große amerikanische Tech-Konzerne oder etwas, das man als kalkulierte Eskalation bezeichnen könnte. Das Beispiel China zeigt, dass Trump durchaus zurückzieht, sofern die Kosten seines Handelns zu hoch werden, wenn es heftige Ausschläge auf dem Finanzmarkt gibt und breitere Marktvolatilitäten eintreten. Es muss darum gehen, Trumps Kosten-Nutzen-Analyse zu verstehen, nur so kann man mit ihm erfolgreich verhandeln.

Auch nach der Annäherung zwischen USA und China bleiben die gegenseitigen Zölle hoch, was günstige chinesische Güter nach Europa umleiten könnte. Sehen Sie das als Fluch oder als Segen? Sollte die EU gegensteuern?

Hüther: Eine Umleitung des chinesischen Handels nach Europa würde den Preisdruck für hiesige Unternehmen noch einmal erhöhen. Gerade im Bereich der grünen Technologien wie Windturbinen, Solarpaneele oder Carbon-Capture-Technologie gewinnen chinesische Unternehmen massiv Marktanteile, während China gleichzeitig seine Importe reduziert. Dadurch wird der Markt für europäische Unternehmen enger und schwerer. Die neue Bundesregierung sollte gemeinsam mit der Europäischen Kommission prüfen, ob wettbewerbsverzerrende Subventionen vorliegen. Wenn Arbeitsplätze bedroht sind, sollte sie Maßnahmen ergreifen, um wieder ein Level Playing Field herzustellen. In diesem Fall Ausgleichszölle zu erheben, hat nichts mit Protektionismus zu tun.

Sie fordern seit Jahren höhere Investitionen, gerade auch von staatlicher Seite. Ist das Problem mit den Finanzierungspaketen für Infrastruktur und Sicherheit zufriedenstellend gelöst? Welche Weichenstellungen sind nötig, damit die zusätzlichen Ausgaben nicht zum Strohfeuer werden?
Hüther: Das Infrastruktur-Sondervermögen stellt den Großteil der erforderlichen finanziellen Mittel für die Ertüchtigung und den Ausbau der staatlichen Infrastruktur bereit. Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn hat Deutschland über zwei Jahrzehnte hinweg gut einen Prozentpunkt weniger in seine Infrastruktur investiert, was etwa 40 Milliarden pro Jahr entspricht. Zentral bleibt aber die Forderung, die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Dass dies möglich ist, hat die vergangene Regierung im Bereich der Energieinfrastruktur bereits gezeigt.

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas hat vorgeschlagen, dass auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden sollten. Was halten Sie von dem Vorschlag? Wie bewerten Sie die rentenpolitische Agenda der Bundesregierung insgesamt – Stichwort private Altersvorsorge?

Hüther: Der Vorschlag von Bas führt in eine Sackgasse. Zwar würden kurzfristig mehr Beiträge in das System fließen, jedoch langfristig auch die Ausgaben steigen, denn auch die Beamtenrenten müssten dann aus dem Umlagesystem gezahlt werden. Da die Altersstruktur der Beamten noch ungünstiger als bei den übrigen Beschäftigten ist, würde man die Rentenkassen noch stärker belasten. Zudem ist völlig unklar, ob man bestehenden Beamten rückwirkend Pensionsversorgungen entziehen kann. 

Die Bundesregierung hat bislang kein überzeugendes Rentenkonzept vorgelegt – im Gegenteil: Mit unnötigen Rentengeschenken verschärft sie bestehende Probleme eher noch. Auch der Nutzen der sogenannten Frühstart-Rente erschließt sich kaum. Sie soll Kindern bis zum 18. Lebensjahr eine staatlich finanzierte, kapitalgedeckte Altersvorsorge ermöglichen. Doch zwischen dem Ende der Ansparphase mit 18 und dem Einstieg ins Berufsleben – oft erst mit Mitte 30 – klafft eine lange Lücke, die junge Menschen neben Ausbildung, Studium und Familiengründung selbst überbrücken müssen und in der sie kaum weiter ansparen können.

Die Babyboomer gehen in den Ruhestand, was den Fachkräftemangel in den nächsten Jahren verstärken und das Wirtschaftswachstum drücken wird. Doch die meisten Gegenmaßnahmen sind politisch unbeliebt, so zum Beispiel mehr Zuwanderung, weniger Teilzeit oder Arbeiten im Alter. Sehen Sie einen Ausweg?

Hüther: Einer der wichtigsten Erfolge der vergangenen Legislaturperiode war es, die Fachkräfteeinwanderung zu steigern und Deutschland attraktiv als Einwanderungsland zu positionieren. Jetzt kommen mehr gebildete, weibliche und mit Deutschkenntnissen ausgestattete Menschen nach Deutschland als noch vor einigen Jahren. Daran muss festgehalten werden. Das Thema der Arbeitszeit bleibt zentral. Ich sehe kein großes politisches Risiko darin, einen oder zwei Feiertage abzuschaffen, denn es geht schlicht und einfach um die Erhaltung des Wohlstands in Deutschland.  

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