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Demografie

„Wir brauchen neue Altersbilder“

Die langfristige Finanzierung der gesetzliche Rente ist ungeklärt. Es braucht neue Antworten, dazu zählt nach Einschätzung von Experten auch ein höheres Renteneintrittsalter. Die Anhebung müsse nur besser vermittelt werden.

Karsten Röbisch (© Christian Kruppa / GDV)
Karsten Röbisch
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© Unsplash / Matt Bennett

Dass der demografische Wandel den Fachkräftemangel verschärft, ist ein Problem, mit dem alle Unternehmen zu kämpfen haben. Manche Arbeitgeber trifft die Alterung der Bevölkerung aber gleich doppelt. „Wir haben weniger Mitarbeitende, aber mehr Arbeit“, sagte Stephan Fasshauer, Direktoriumsmitglied bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV), auf dem Kongress Demografie und Nachhaltigkeit am Donnerstag in Berlin.

Das Mehr an Arbeit, das sind all jene Menschen, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Mit dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Erwerbsleben wird die Zahl der Rentner bis Mitte der 2030er-Jahre massiv steigen: um vier auf mindestens 20 Millionen. Das ist – im Kleinen – ein Problem für die Rentenversicherung als Unternehmen, das zusehen muss, wie es die zusätzliche Arbeit bewältigt. Im Großen aber ist es ein Problem für das gesamte Land, das sich überlegen muss, wie es die damit verbundenen finanziellen Lasten stemmen kann. Denn parallel zur wachsenden Zahl an Rentnern schrumpft die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter – und damit die Personengruppe, die mit ihren Beiträgen das System finanziert. 

So vorhersehbar diese Entwicklung ist, so unvorbereitet wirkt Deutschland darauf. Noch bis 2025 gelten in der gesetzlichen Rentenversicherung Haltegrenzen für Beitragssatz und Rentenniveau, wie es danach weiter geht, ist noch offen. Ganz so, als wolle die Politik einen Schleier über die Zukunft legen. „Dass die Politik den Eindruck vermittelt, die Demografie über Haltelinien in der gesetzlichen Rente aushebeln zu können, ist unrealistisch“, betont Peter Schwark, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Die Politik müsse ehrlicher sein, was auch bedeutet zu sagen, dass es das heutige Rentenniveau in 30 Jahren nicht mehr geben werde.

Keine langfristige Rentenpolitik

Auch Wissenschaftler vermissen die langfristige Perspektive in der Sozialpolitik. „Wir müssen eine gesamtgesellschaftliche Debatte führen, wie wir in Zukunft die Rente finanzieren wollen“, betont Nicolas Ziebarth, Leiter des Forschungsbereichs Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen am Leibnitz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Schon heute müsse der Bund die Rentenkasse bezuschussen, im vergangenen Jahr waren es 109 Milliarden Euro. Diese Ausgaben belasten zunehmend den Bundeshaushalt – und engen den Spielraum für Zukunftsinvestitionen ein. „Die Projektionen sagen voraus, dass der Bundeszuschuss immer weiter steigen wird“, so Ziebarth. 

Als eine Möglichkeit zur Lösung der Finanzierungsprobleme gilt für viele die Einbeziehung weiterer Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung – etwa Selbstständige oder Beamte. Das sei jedoch ein politisch heißes Eisen, sagt Fasshauer von der DRV. Wann immer die Politik dazu einen Vorschlag mache, gebe es sehr schnell eine Petition dagegen. Für die Finanzen der Rentenversicherung seien mehr Beitragszahler auch nicht unbedingt ein Gewinn: Kurzfristig gebe es zwar mehr Einnahmen, ihnen stünden langfristig aber auch mehr Leistungen gegenüber. Und gerade die Einbeziehung von Staatsbediensteten bedeute zusätzliche Belastungen: „Bei den Beamten werden wir verlieren, weil sie deutlich länger leben“, betonte Fasshauer. 

Anhebung des Renteneintrittsalters unumgänglich

Immer älter werden glücklicherweise alle Deutschen, was die schwierige Finanzlage der Rentenkasse mit erklärt. Denn nicht nur die Zahl der Rentner steigt, sie beziehen zugleich immer länger Leistungen. Eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters über die bereits beschlossenen 67 Jahre hinaus hält ZEW-Mann Ziebarth daher für unumgänglich: „Wenn die Lebenserwartung immer weiter steigt, bekommen wir ernsthafte Finanzierungsprobleme.“ Das starre Konzept eines einheitlichen Renteneintrittsalters hält der Sozialexperte ohnehin nicht mehr für zeitgemäß, der Renteneintritt sei eine individuelle Entscheidung – abhängig von den persönlichen Lebensumständen. „Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen die Chance nutzen, länger zu arbeiten. Weil es Spaß macht und auch mehr Flexibilität im Leben ermöglicht“, so Ziebarth.

Eine weitere Anhebung der Regelaltersgrenze ließe sich seiner Ansicht nach der Bevölkerung auch besser verkaufen, wenn man von Klischees wegkommt. „Man muss ein positives Bild vom Alter vermitteln, das auch nicht von der Politik zerrieben wird.“ Ähnlich urteilt GDV-Geschäftsführer Schwark: „Wir brauchen neue Altersbilder.“ Die Vorstellung, mit 65 oder 67 Jahren seien alle fertig, sei falsch. Auch er hält es für nötig, die Diskussion über eine neue Altersgrenze im gesamtgesellschaftlichen Konsens zu führen. „Das Thema gehört nicht in den Wahlkampf.“ 

Menschen brauchen Planungssicherheit

Noch in dieser, spätestens aber in der kommenden Legislaturperiode müsse die Politik eine Antwort darauf geben, wie es nach 2031 weitergehe, wenn die schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre abgeschlossen ist, so Schwark. „Die Menschen brauchen gerade bei der Rente Planungssicherheit.“ Mit den Kriterien für die gesetzliche Rente bestimme die Politik zugleich die Rahmenbedingungen für die private und betriebliche Altersvorsorge, die als Ergänzung unverzichtbar seien. 

Die Vorschläge der von der Bundesregierung Fokusgruppe zur Reform der privaten Altersvorsorge enthalten nach Meinung von Schwark Licht und Schatten: Positiv sei, dass die staatliche Förderung weiterentwickelt und das Garantieniveau abgesenkt werden soll, um höhere Renditen zu ermöglichen. Der geplante Verzicht auf eine Verrentung sei hingegen eine „Kapitulation vor dem Thema steigende Lebenserwartung“. „Die meisten Menschen unterschätzen ihre Lebenserwartung.“ Mit der Frage, wie lange die Ersparnisse reichen müssen, dürfe die Politik die Menschen nicht allein lassen, so der GDV-Geschäftsführer.

Digitale Rentenübersicht: „Quantensprung für die Altersvorsorge-Planung“

Ein Abrücken von der Verrentung in der privaten Altersvorsorge hätte auch nach Ansicht von DRV-Mann Fasshauer gravierende Auswirkungen. „Wir lassen die jungen Menschen mit der zunehmenden Eigenverantwortung allein.“ Die finanzielle Allgemeinbildung sei gerade in Deutschland „ein Dilemma“. Vor dem Hintergrund bezeichnete er die in diesem Jahr an den Start gegangene digitale Rentenübersicht als einen „Quantensprung für die Altersvorsorge-Planung“. Das Tool listet sämtliche Vorsorgeansprüche auf – getrennt nach Zeit- und lebenslangen Renten. Noch aber sind nicht alle Altersvorsorge-Anbieter angeschlossen.

Für den ZEW-Experten Ziebarth ist die digitale Rentenübersicht ein guter Einstieg, um Menschen für das Thema Altersabsicherung zu sensibilisieren. Die Frage sei nun, wie lange es dauert, bis alle Menschen angemeldet seien. Für die Zukunft hofft er jedoch noch auf weitere Funktionen: „Wünschenswert wäre es, wenn das Tool beispielweise auch anzeigt, was es bedeutet, wenn ich ein Sabbatical mache oder ein Jahr früher oder später in Rente gehe“, so Ziebarth. 

Das könnte vielleicht auch die eine oder den anderen dazu bewegen, freiwillig länger zu arbeiten als nötig. Für jeden zusätzlichen Monat gibt es aktuell einen Rentenzuschlag von 0,5 Prozent. Das macht sechs Prozent pro Jahr.