„Die Faktenlage ist recht dürftig“
Bundesverkehrsminister Volker Wissing plant eine neue „Promillegrenze“ für Cannabis. Warum der aktuelle Grenzwert nicht passt und ein höherer noch keine Gefahr bedeutet, erklärt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer.
Herr Brockmann, angesichts der geplanten Teillegalisierung von Cannabis möchte Bundesverkehrsminister Wissing auch einen neuen THC-Grenzwert im Straßenverkehr festlegen. Was passt denn nicht mit dem bestehenden?
Siegfried Brockmann: Bislang ist Fahren unter Drogeneinfluss generell nicht erlaubt. Als nachgewiesen gilt der Cannabis-Konsum bei einem Wert von einem Nanogramm des Wirkstoffs THC pro Milliliter Blut. So ist es überhaupt zu dem geltenden „Grenzwert“ gekommen. Er sagt aber nichts über die Fahrtüchtigkeit aus. Solange es darum ging, illegalen Drogenkonsum zu sanktionieren, war der Fall klar. Mit der geplanten Legalisierung von Cannabis ändert sich das: THC fällt damit aus der Liste der illegalen Stoffe heraus. Wir brauchen deshalb, wie bei Alkohol, einen konkreten Wert.
Er soll ja auf Basis „wissenschaftlicher Erkenntnisse“ ermittelt werden. Was sagt denn die Forschung dazu?
Brockmann: Die Faktenlage ist recht dürftig. Es gibt wenige Studien, die sich aber schwertun, den Zusammenhang zwischen Cannabis-Konsum und der Fahruntauglichkeit exakt zu bestimmen. Da gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf, kurzfristig lässt sich das allerdings nicht lösen. Es herrscht aber Einigkeit, dass unterhalb von drei Nanogramm die Fahrtüchtigkeit jedenfalls nicht eingeschränkt ist.
Warum können wir es denn nicht einfach bei der bisherigen Grenze belassen?
Brockmann: Das wäre mir nicht unsympathisch: Wer kifft, fährt nicht, ist doch ein guter Grundsatz. Aber auch das müsste man konkret ins Gesetz schreiben. Und da sind sicher alle dagegen, die sich für die Legalisierung stark gemacht haben. Bevor wir am Ende nichts haben, ist es mir lieber, mit drei Nanogramm einen Grenzwert festzulegen, der weit davon entfernt ist, jemanden im Straßenverkehr zu gefährden. Es ist ja nicht so, dass man dann nach einem Joint sofort Auto fahren dürfte. Da müssen schon einige Stunden dazwischen liegen..
Zur Person
Siegfried Brockmann, Jahrgang 1959, hat den Beruf des Kraftfahrzeugmechanikers erlernt und Politische Wissenschaften in Berlin studiert. Im Jahr 1998 übernahm er die Kommunikation für den Bereich Schaden- und Unfallversicherung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Seit 2006 ist er dort Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Ehrenamtlich ist Brockmann Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats und beratendes Präsidiumsmitglied der Deutschen Verkehrswacht (DVW), Vorstandsmitglied des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) und Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Seniorenliga (DSL).
--
Können Sie das konkreter machen?
Brockmann: Das lässt sich pauschal überhaupt nicht sagen. Der THC-Gehalt schwankt je nach Sorte und hängt auch davon ab, welche Pflanzenteile konsumiert werden. Auch Alter, Größe und Gewicht der Konsumenten haben Einfluss darauf, wie schnell das THC abgebaut wird. Das Problem haben allerdings auch die Konsumenten: Eine Faustformel oder ein Messgerät wie beim Alkohol gibt es ja nicht.
Welche Erfahrungen gibt es eigentlich im Ausland, wo der Cannabis-Konsum bereits legal ist, etwa in den Niederlanden?
Brockmann: Dort gilt ebenfalls ein Grenzwert von drei Nanogramm. Und die Erfahrungen zeigen, dass unsere Nachbarn damit ganz gut zurechtkommen. Deshalb sollten wir diesem Beispiel auch erstmal folgen.
Nun stelle ich mir einen Kiffer vor, der zu seinem Joint gern noch ein Bier trinkt. Was ist mit dieser Form des Mischkonsums?
Brockmann: Das ist besonders gefährlich, deshalb lassen sich die Grenzwerte für den Cannabis- und Alkoholkonsum auch nicht getrennt betrachten. Studien zeigen, dass sich die Wirkung der Drogen gegenseitig verstärkt. Deshalb gilt auch in den Niederlanden ein THC-Grenzwert von einem Nanogramm, sobald Alkohol mit im Spiel ist. Das ist wissenschaftlich auch nicht exakt erwiesen, trägt aber der Erkenntnis Rechnung, dass beim Mischkonsum die Gefahren größer sind.
Es gibt auch die Forderung nach einem niedrigeren THC-Grenzwert für Fahranfänger. Wie lässt sich das denn begründen?
Brockmann: Bei Fahranfängern gibt es zusätzliche Risiken: Sie beherrschen das Auto noch nicht sicher und können auch Gefahren noch nicht so gut einschätzen. Überdies neigen insbesondere junge Männer dazu, höhere Risiken im Straßenverkehr einzugehen. Deshalb halte ich es für vernünftig, mindestens bei Fahranfängern Null Toleranz anzusetzen. Auch bei Alkohol gilt bis 21 Jahre schließlich eine Null-Promille-Grenze.