Zur Suche
Transport & Logistik

Transportversicherer warnen vor Betrugsmasche

Als sogenannte Phantomfrachtführer erbeuten Kriminelle ganze LKW-Ladungen. Die Zahl der Fälle nimmt stark zu, wie auf der Fachtagung Transport des GDV deutlich wurde. Die Versicherer dringen auf mehr Sorgfalt bei der Vergabe von Transportaufträgen.

Karsten Röbisch (© Christian Kruppa / GDV)
Karsten Röbisch
Lesedauer
© Marcin Jozwiak / Unsplash

Logistikfirmen und Transportversicherer sehen sich zunehmend mit einer besonderen Form des Ladungsdiebstahls konfrontiert. Dabei rauben die Täter die LKW nicht auf „klassische Art“ auf Park- oder Rastplätzen aus, sondern fahren als Schein-Firmen direkt beim Absender vor und verschwinden mit der gesamten Ladung.

„Die Zahl der Betrugsfälle durch sogenannte Phantomfrachtführer hat zuletzt drastisch zugenommen“, sagte Jens Jaeger, Leiter für Transport und Luftfahrt im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), zum Auftakt einer GDV-Fachtagung am Dienstag in Berlin, auf der dieses Thema großen Raum einnahm. Daneben ging es um Lagerrisiken oder die Auswirkungen aktueller Krisengebiete auf die Lieferketten.

Online-Frachtbörsen dienen als Recherche-Tool

Bei der Phantomfrachtführer-Masche machen sich die Kriminellen zunutze, dass viele Transportaufträge mittlerweile über Online-Frachtbörsen an Subunternehmen vergeben werden – allein in Deutschland mehrere 10.000 pro Tag. So erfahren die Kriminellen von lukrativen Aufträgen und melden sich dann außerhalb der Börse mit einem Angebot beim Auftraggeber. 

Meist nutzen sie dafür die Identität realer Personen und Unternehmen, verändern aber leicht die Kontaktdaten. Beispielsweise werden Länder-Domains von E-Mail-Adressen wie „pl“ in „com“ getauscht. Dokumente wie die Versicherungsbestätigung fälschen die Betrüger. „Der Aufwand der Täter ist gering. Und den Disponenten fallen die Abweichungen in den Dokumenten bei der Schnelligkeit der Auftragsvergabe kaum auf“, sagte Klaus Baier, Sachverständiger von der Unternehmensberatung Desa, die Unternehmen bei der Aufklärung von Betrugsfällen unterstützt. Im Glauben, den echten Frachtführer vor sich zu haben, wird die Ware auf Nimmerwiedersehen ausgehändigt. 

Deutliche Zunahme der Fälle

Wie verbreitet das Phänomen, das Anfang der Jahrtausendwende erstmals auftauchte, mittlerweile ist, verdeutlichte Baier mit eigenen Zahlen. Seit 2022 führt er eine Liste von Phantomfrachtfällen: Waren es 2022 europaweit 80 Neueinträge, hatte er für 2024 bereits 266 Betrugsfälle und Versuche dokumentiert. Und in den ersten vier Monaten dieses Jahres sind es bereits 202. „Der volkswirtschaftliche Schaden ähnelt inzwischen dem des klassischen Ladungsdiebstahls“, schätzt Baier. Dieser liegt nach Prognose des GDV bei rund 1,3 Milliarden Euro jährlich.

Die Versicherer dringen daher auf mehr Sorgfalt bei der Beauftragung von Subunternehmen. Der GDV hat schon vor längerer Zeit Präventionstipps veröffentlicht. So sollten Identitätsnachweise, Adressangaben und Handelsregisterauszüge genau auf ihre Echtheit überprüft werden. Transportfimen sollten zudem von ihren Subauftragnehmern Referenzkunden anfordern, die sich nachverfolgen lassen. 

Kriminelle verfeinern ihre Methoden

Auch Kriminalitätsexperte Baier mahnt trotz des Zeit- und Kostendrucks, unter dem die Firmen stehen, zu mehr Sorgfalt: „Etwa drei Viertel der Betrugsfälle entfallen aktuell auf den Identitätsdiebstahl. Durch eine genauere Überprüfung der Auftragnehmer lassen sich viele Fälle verhindern.“ 

Bei einer anderen Betrugsmasche ist das schon schwieriger: Dabei gründen die Kriminellen Briefkastenfirmen – mit Zugang zu den Frachtenbörsen und offiziellen Dokumenten. Den Geschäftsbetrieb täuschen sie allerdings nur vor. „Der Aufwand ist größer, dafür ist das Entdeckungsrisiko kleiner als beim Identitätsraub“, sagt Baier. Er hat Fälle erlebt, in denen über eine einzige Scheinfirma 40 Ladungen betrügerisch erlangt wurden. 

Inzwischen haben die Täter diese Methode noch weiter ausgefeilt. Sie kaufen gezielt Speditionsfirmen auf, die kurz vor der Insolvenz stehen, um sie anschließend als Tarnung für ihre kriminellen Machenschaften zu nutzen. So lange, bis der Betrug auffällt und der Name der Firma verbrannt ist. 

Organisierte grenzüberschreitende Kriminalität

Der enorme Aufwand zeugt vom kriminellen Potenzial der Banden. „Wir sprechen hier von organisierter grenzüberschreitender Kriminalität“, sagt Baier. Früher seien es europaweit sechs Haupt-Tätergruppen gewesen, inzwischen gebe es Dutzende. Die Gruppen seien gut im Transportgewerbe vernetzt, hätten Tippgeber in legalen Speditionen und wüssten, über welche Be- und Entladestellen oder Hauptauftragnehmer wertvolle Fracht üblicherweise transportiert werde, so der Experte. 

Zwar geben die Frachtenbörsen nicht preis, welche Ware transportiert werden soll. Doch schon die Route verrät einiges. „Die Kriminellen wissen zum Beispiel genau, wo Kupfer hergestellt wird – und wohin es üblicherweise geliefert wird“, weiß Alexander Gsell vom Spezialversicherer KRAVAG. Wird ein Lieferant für die betreffende Route gesucht, schlagen die Phantomfrachtführer zu. Oft geht es dabei nicht um eine Ladung, sondern gleich um mehrere. Der Verlust geht dann schnell in die Millionenhöhe. 

Banden stehlen alles, was sich schnell vermarkten lässt

Nicht nur Metalle wie Kupfer oder Messing sind nach Beobachtung von Gsell begehrt: „Es gibt Tätergruppen, die sich auf Elektronik spezialisiert haben, andere haben es auf Lebensmittel abgesehen. Für die Ware gibt es eine regelrechte Lagerhaltung wie bei Großhändlern.“ Nach Ansicht von Desa-Chef Baier langen die Banden bei allem zu, was sich schnell und leicht vermarken lässt: Fahrräder, Mobiltelefone, selbst Düngemittel oder Solarpaneele. Den durchschnittlichen Schaden einer geraubten Ladung beziffert er auf 100.000 Euro. In einem Fall, als es um wertvolle Elektronik-Bauteile ging, seien es aber schon mal 3,6 Millionen Euro gewesen, so der Experte.

Viele Waren gehen nach Osteuropa, aber auch in die Benelux-Staaten. Die Gesetze in anderen Ländern erleichtern den Banden das Handwerk. „In einigen Staaten ist der gutgläubige Erwerb von gestohlener Ware rechtlich zulässig“, betont Baier. Das hält den Schwarzmarkt am Laufen.