Die Nachhaltigkeitspositionierung der deutschen Versicherer
Einleitung
1. Versicherer bekennen sich zu den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen (SDGs) und zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Sie unterstützen das Ziel eines klimaneutralen Europas bis 2050 und den Green Deal. Das Grundprinzip der kollektiven Risikoübernahme erfordert eine sehr langfristige Ausrichtung über mehrere Generationen hinweg. Versicherer stehen für Risikoschutz, Sicherheit und Vorsorge in allen Lebensbereichen. Ihre zentrale Aufgabe ist es, Risiken kalkulierbar und durch einen langfristig angelegten Risikotransfer für Einzelne tragbar zu machen. Mit ihrer Expertise in der Schadenregulierung entwickeln sie Präventionsmaßnahmen, sodass (beispielsweise klimabedingte) Schäden gar nicht erst entstehen. Betriebliche und private Altersvorsorge leisten einen wichtigen Beitrag zur Absicherung im Alter und fördern Generationengerechtigkeit. Versicherungen sind ein wesentliches Fundament für wirtschaftliches Handeln und Wachstum. Als Risikoträger und Investor leisten Versicherer einen zentralen Beitrag für die Innovationstätigkeit und Wirtschaftswachstum.
2. Der Umbau der Wirtschaft und der Gesellschaft für eine nachhaltige Zukunft ist eine zentrale Herausforderung und Verpflichtung gegenüber den jetzigen und zukünftigen Generationen. Der Klimaschutz erfordert schnelle und effiziente Maßnahmen, um die Erderwärmung zu begrenzen. Ebenso muss zügig Vorsorge getroffen werden, damit Gesellschaft und Wirtschaft die Folgen des Klimawandels bewältigen können. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen dabei zusammenarbeiten.
3. Diese Positionierung der deutschen Versicherungswirtschaft konzentriert sich auf den Beitrag der Versicherer zu den SDGs zur Bewältigung und Eindämmung des Klimawandels, zur Förderung nachhaltiger Produktions- und Konsummuster sowie zur Förderung der gleichberechtigten Teilhabe der Geschlechter am wirtschaftlichen und sozialen Leben. Versicherer bekennen sich dazu, die Förderung von Nachhaltigkeit in ihren unmittelbaren Geschäftsprozessen, bei den Kapitalanlagen, der Versicherung von Risiken und der Produktgestaltung als integralen Bestandteil ihres Handelns weiter auszubauen. Die gesetzlichen und aufsichtlichen Auflagen für Versicherer setzen hohe Maßstäbe an eine nachhaltige Unternehmensführung. Der Anspruch der Branche geht weit über die regulatorischen Anforderungen hinaus.
4. Versicherer können diesen Anspruch nur mit einem verlässlichen politischen Rahmen erfüllen, der stringent auf ambitionierte Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet ist. Die lenkungswirksame Bepreisung klimaschädlicher Emissionen, stabile rechtliche Grundlagen für erneuerbare Energien und Initiativen für klimaresiliente Infrastruktur sind notwendige Leitplanken, um Marktinnovationen für nachhaltiges Wirtschaften und Investieren zu fördern. Politik, Unternehmen und Individuen benötigen umfangreiche, verlässliche und einfach handhabbare ESG-Informationen, um ihr Handeln auf Nachhaltigkeit und Klimaneutralität auszurichten.
Nachhaltige und klimafreundliche Geschäftsprozesse
5. In Deutschland sind 530 Versicherer für ihre Kund*innen mit insgesamt 446 Mio. Versicherungsverträgen aktiv. Sie bekennen sich zu verantwortungsvollen, ressourcenschonenden Geschäftsprozessen, z. B. in ihren Bürogebäuden und der Infrastruktur. Bis 2025 streben Versicherer die Klimaneutralität ihrer eigenen Geschäftsprozesse (Scope 1 und 2) mindestens in Deutschland an. Um Klimaneutralität zu erreichen, erhöhen Versicherer ihre Energieeffizienz, reduzieren CO2-Emissionen und kompensieren/neutralisieren ihre verbleibenden Emissionen.
6. Versicherer bekennen sich zur Diversität und fördern Vielfalt und Chancengleichheit. Sie streben danach, dass vor allem auch ihre Führungsgremien die Vielfalt der Menschen widerspiegeln, die ihr Unternehmen und ihre Kund*innen ausmacht. Sie verpflichten sich, den Frauenanteil in Führungspositionen und -gremien zu erhöhen. Für über 200.000 Menschen in Deutschland sind Versicherer verlässliche und attraktive Arbeitgeber mit hohen Sozialstandards. Sie bieten eine große Vielfalt an Berufen und Spezialisierungen und setzen mit einer zielgerichteten Aus- und Weiterbildung hohe Maßstäbe an die Personalentwicklung.
7. Versicherer verankern das Thema Nachhaltigkeit in ihren Governancestrukturen. Sie optimieren ihr Risikomanagement weiter und nutzen vorhandene Nachhaltigkeitsdaten zur Risikosteuerung. Sie entwickeln unternehmensindividuelle Nachhaltigkeitsstrategien laufend fort und fördern nachhaltiges Verhalten der Beschäftigten.
Nachhaltige und klimafreundliche Kapitalanlagen
8. Versicherer bekennen sich zu einer nachhaltigen Kapitalanlage und nehmen ihre bedeutende Rolle bei der Transformation der Wirtschaft aktiv wahr. Mit 1,7 Billionen Euro Kapitalanlagen sind sie eine der größten institutionellen Investorengruppen. Als langfristige Investoren mit einer durchschnittlichen Restlaufzeit ihrer Kapitalanlagen von deutlich mehr als zehn Jahren haben sie ein großes Interesse daran, die Chancen des Übergangs zu einer nachhaltigen und kohlenstoffarmen Wirtschaft zu nutzen und die Risiken möglichst frühzeitig zu managen.
9. Versicherer streben Treibhausgasneutralität der Kapitalanlagen bis 2050 an. Sie bekennen sich zu dem im Pariser Klimaschutzabkommen festgeschriebenen Ziel, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen und die Finanzmittelflüsse sukzessive mit den Klimazielen in Einklang zu bringen. Sie arbeiten darauf hin, im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Verfügbarkeit von Messmethoden bereits bis 2025 und schrittweise darüber hinaus CO2-Reduktionen in den Portfolios zu realisieren.
10. Versicherer streben an, ihre Kapitalanlagen noch stärker an Nachhaltigkeitskonzepten auszurichten, um ihrer Verantwortung als große und langfristige Investoren gerecht zu werden. Ein wichtiger Bestandteil der Kapitalanlage der Versicherer sind bereits heute ESG-Konzepte wie z. B. Ausschlusslisten, Best-in-class, Engagement oder ESG-Integration. Sie entwickeln die Konzepte kontinuierlich fort: Von pauschalen Ausschlüssen zu integrierten ESG-Ansätzen, die auf Engagement setzen. So unterstützen die Versicherer zudem die notwendige Transformation der Wirtschaft.
11. Viele Versicherer engagieren sich bereits heute in freiwilligen Initiativen, wie z. B. bei den „Principles for Responsible Investment“. Einige Versicherer sind Mitglieder der Net-Zero Asset Owner Alliance, die sich verpflichtet, ihre Kapitalanlageportfolios bis 2050 klimaneutral auszurichten. Die Branche erkennt die Bedeutung von freiwilligen Initiativen für eine nachhaltige Finanzwirtschaft an und will ihre Verbreitung fördern.
12. Eine verantwortungsvolle Kapitalanlage ist im ureigensten Interesse der Unternehmen. Durch die Anwendung von ESG-Konzepten in der Kapitalanlage können nicht nur Risiken frühzeitiger erkannt, sondern auch durch Anpassungen in der Allokation das Rendite-Risikoprofil der Anlageportfolios verbessert werden. Versicherer nutzen die Chancen, die sich durch neue Anlagemöglichkeiten im Zuge der Transformation der Wirtschaft ergeben.
Nachhaltige und klimafreundliche Versicherung von Risiken
13. Versicherer bekennen sich zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken und zur Stärkung eines nachhaltigen Risikotransfers. Versicherungsprodukte umfassen Risikoanalyse, Risikotransfer sowie Risiko- und Schadenprävention. Der Klimawandel verändert mittel- und langfristig sowohl die Risiken als auch die Parameter zur Risikoanalyse. Er kann sich zusätzlich auf den Risikotransfer selbst auswirken: Gegenwärtig ist es möglich, umfassenden Versicherungsschutz gegen Naturgefahren anzubieten. In einer sich ungebremst erwärmenden Welt sinkt die Versicherbarkeit von Risiken drastisch. Dies kann zu volkswirtschaftlichen Schäden und sozialen Herausforderungen führen. Um langfristig für Naturgefahren finanzierbaren Versicherungsschutz anbieten zu können, müssen die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht werden.
14. Es gehört schon heute zu den Kernkompetenzen der Branche, Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten und Lösungen für die Herausforderungen des Klimawandels bereitzustellen:
- ·Die Versicherung von Anlagen der erneuerbaren Energien und anderer sauberer Technologien ermöglicht den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Transformation der Wirtschaft. Gerade für neuartige Technologien bietet die Branche innovative Lösungen.
- Die Absicherung von Schäden durch Naturgefahren und das Angebot von „Klimaversicherungen“ bieten weitreichenden Risikotransfer für die finanziellen Folgen von Extremwetterereignissen, die unmittelbar aus dem Anstieg der Durchschnittstemperaturen in Europa folgen werden.
- Versicherer erkennen und analysieren frühzeitig Veränderungssignale in Ihren Datenbeständen. Ihr Wissen bringen sie in den gesellschaftspolitischen Dialog ein und fördern über Kundenberatung, Öffentlichkeitsarbeit und Datenbereitstellung das Risikobewusstsein.
- Zugleich passen Versicherer ihre eigenen Prozesse kontinuierlich an, um auch unter sich verändernden Klimabedingungen finanziellen Schutz für Wirtschaft und Gesellschaft anbieten zu können.
15. Versicherer berücksichtigen Nachhaltigkeitsaspekte in unternehmensindividuellen Prozessen. Sie streben an, bis 2025 ESG-Kriterien weiter in die Zeichnungsrichtlinien zu integrieren. Bei der Zeichnung von Risiken folgen Versicherer dem Prinzip der risikogerechten Prämienkalkulation. Dieses Prinzip ist zwingende Voraussetzung, um eingegangene Leistungsversprechen zu erfüllen.
16. Versicherer begleiten den Transformationsprozess der Wirtschaft – auch bei schwierigen Risiken. Die Branche unterstützt ihre Kund*innen bei der Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen. Insofern bekennen sich Versicherer zu dem langfristigen Ziel, keine gewerblichen und industriellen Risiken mehr ins Portefeuille zu nehmen, die den Transformationsprozess zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaft negieren. Vor diesem Hintergrund steht die Versicherungswirtschaft zum Ausstiegsszenario der Bundesregierung aus der Kohlestromversorgung. Versicherer werden anhand ihrer eigenen Portefeuilles entscheiden, ob und wann einzelnen Ziele bereits früher umgesetzt werden können.
17. Versicherer streben den aktiven Dialog mit ihren Geschäftspartner*innen an, um das Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels zu schärfen, ESG-Themen zu adressieren, Risiken zu managen und Lösungen zu implementieren. Sie stärken damit nachhaltige Geschäftsmodelle. Versicherer begleiten dabei alle Bereiche der Wirtschaft – auch jene Unternehmen, die erst am Anfang ihres Weges zu nachhaltigen Aktivitäten stehen. Denn nur ein verlässlicher Transfer der Risiken schafft die Grundlage für eine Transformation aller wirtschaftlicher Aktivitäten. Dies schafft unmittelbaren gesellschaftlichen Mehrwert und schützt Menschen, Unternehmen und Staaten vor Risiken.
18. Die Branche erkennt die Bedeutung von freiwilligen Initiativen für einen nachhaltigen Risikotransfer an und will ihre Verbreitung fördern. Einige Unternehmen engagieren sich bereits bei freiwilligen Initiativen, wie den „Principles for Sustainable Insurance (PSI)“. Die Initiativen bieten Ansatzpunkte, die mit ESG-Aspekten verbundenen Risiken und Chancen zu identifizieren, zu bewerten, zu steuern und zu überwachen.
Nachhaltige und klimafreundliche Produkte und Schadenregulierung
19. Das Erkennen und Managen von Risiken gehört zu den Kernkompetenzen der Versicherungswirtschaft. Versicherer investieren in zahlreiche Präventionsmaßnahmen.
20. Versicherer unterstützen Wirtschaft und Gesellschaft dabei, den Klimawandel einzugrenzen und seine unvermeidbaren Folgen zu bewältigen. Sie stellen Versicherungsschutz für die finanziellen Folgen bereits heute eingetretener Klimaveränderungen bereit, beispielsweise indem sie private, gewerbliche und industrielle Sachwerte gegen die zunehmenden Extremwetterereignisse absichern.
21. Versicherer streben an, das Angebot an nachhaltigen Versicherungsprodukten auszubauen. Dazu gehören innovative Versicherungskonzepte („nutzen statt besitzen“, „Reparatur statt Tausch“, E-Mobilität). Sie machen sich für eine zielgerichtete und wirksame Klimafolgenanpassung bei Reparatur und Wiederaufbau zerstörter Sachwerte stark. Dabei orientieren sich Versicherer verstärkt an Ansätzen wie „building back better“. Die Versicherer werden bis 2025 zunehmend Nachhaltigkeitskriterien in ihre Praxis der Schadenregulierung integrieren.
22. Als Anbieter für kapitalgedeckte Altersvorsorge leisten Versicherer einen wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Versicherer streben an, im Gleichlauf mit ihren verstärkten nachhaltigen und klimafreundlichen Kapitalanlagen auch das Angebot an nachhaltigen Produkten für die Altersvorsorge auszubauen.
Transparenz, Forschung und Wissenstransfer
23. Politik, Unternehmen und Individuen benötigen umfangreiche, verlässliche und einfach handhabbare ESG-Informationen, um ihr Handeln auf Nachhaltigkeit und Klimaneutralität auszurichten. Neue europäische Vorgaben für mehr ESG-Transparenz (z. B. Taxonomie, Transparenz-Verordnung) sind bereits auf dem Weg. Die Versicherer unterstützen deren Zielrichtung und arbeiten daran, selbst noch transparenter zu werden. Um ihre Kapitalanlagen, das Risikomanagement und den Versicherungsschutz anpassen zu können, brauchen Versicherer ESG-Daten der Realwirtschaft sowie Messmethoden und Modelle, z. B. im Zusammenhang mit Klimastresstests. Die erforderlichen ESG-Daten müssen in einer standardisierten Form („ready-to-use“) und kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Die notwendigen Messmethoden und Modelle entwickeln Versicherer fortlaufend weiter. Hierfür ist der intensive Austausch mit Wissenschaft und Aufsichtsbehörden wichtig.
24. Versicherer nehmen weiterhin ihre Vorreiterrolle in der Erforschung der Ursachen und Folgen des Klimawandels wahr. Sie informieren über Gefahren von Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen und schaffen so Risikobewusstsein. Durch ihre Expertise in der langjährigen Naturkatastrophenforschung und zielgerichtete Kooperationen unterstützen sie die weitere Forschung, um Klimarisiken begegnen zu können. Aufklärung und Prävention sind das A und O, um künftige Schäden in Grenzen zu halten und Naturgefahren heute und in Zukunft versichern zu können.
25. Ihr Bekenntnis zur Unterstützung der notwendigen Anpassungsprozesse an den Klimawandel bekräftigen Versicherer durch die Fortführung ihrer zahlreichen Studien und Handreichungen:
- Die Auswirkungen von Nachhaltigkeitskonzepten auf die Rentabilität der Kapitalanlagen haben die Versicherer 2018 anhand einer umfangreichen Auswertung wissenschaftlicher Studien und Experteninterviews untersucht. Es wurde gezeigt, dass Nachhaltigkeitskonzepte einen positiven Einfluss auf das Risiko-Rendite-Profil der Kapitalanlagen eines Versicherers haben können. Diese Untersuchung wird regelmäßig aktualisiert.
- Die Versicherer haben von 2008 bis 2012 in Zusammenarbeit mit führenden Klimaforschern die Auswirkungen des Klimawandels auf die Schadensituation in der Versicherungswirtschaft untersucht. Sie dokumentieren und bewerten seitdem die Entwicklung der Naturgefahren im jährlichen Naturgefahrenreport.
- Versicherer fordern ein bundesweites Naturgefahrenportal. Standortgenaue Informationen über Gefährdungen durch Hochwasser, Starkregen, Blitz- und Überspannung sowie Sturm und Hagel sollten in der digitalen Gesellschaft selbstverständlich sein. Mit der Machbarkeitsstudie „Kompass Naturgefahren“ haben Versicherer bereits beispielhaft gezeigt, wie dieser Gedanke umgesetzt werden kann.
- Die Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst wird fortgeführt, um Starkregen- und Schadendaten systematisch zu untersuchen.
- Mit ihrem Gesamtüberblick über Entwicklungsstand und Gefährdungspotenzial der erneuerbaren Energien aus Sicht der Technischen Versicherungen helfen Versicherer den Betreibern von Energieanlagen und den Versicherern gleichermaßen bei der Risikoanalyse.
- Mit der Initiative „Stadt.Land.unter“ klären Versicherer über die wachsende Gefahr heftiger Regenfälle auf und zeigen, wie Immobilien geschützt werden können.