Langfristige Investitionen für mehr Nachhaltigkeit ermöglichen
Der Reviewprozess für Solvency II geht in die entscheidende Phase: Die EU-Kommission hat heute ihren Richtlinienentwurf veröffentlicht. Höhere Kapitalanforderungen könnten Langfristinvestitionen für mehr Nachhaltigkeit ausbremsen, warnt der GDV.
Viele der vorgeschlagenen Änderungen am Solvency-II-Regelwerk hätten direkte Auswirkungen auf die Kapitalanforderungen. An erster Stelle steht die so genannte Zinsextrapolation, sie ist für die Bewertung der Rückstellungen relevant (s. Textbox). Dabei geht es um die wichtige Frage, bis zu welchem Zeitpunkt ein Marktzins für sichere Kapitalanlagen ermittelt werden kann und ab wann ein mathematisches Schätzmodell greift. Derzeit beginnt die Extrapolation ab dem Jahr 20. Die Kommission schlägt nun ein Verfahren vor, dass von verschiedenen Parametern abhängt – und langfristig zu höheren Anforderungen führen könnte.
Delegierte Verordnung regelt wichtige Eckpunkte
Auf der anderen Seite hat die Kommission für langfristige Investitionen Erleichterungen angekündigt, ohne diese zu konkretisieren. Daher wird es maßgeblich von der Ausgestaltung der Regelung in der delegierten Verordnung zur Richtlinie anhängen, ob Erleichterungen tatsächlich praktikabel und anwendbar sind. Auch die Bestimmung der Parameter zur Zinsextrapolation wird in der delegierten Verordnung geregelt.
Klimarisiken sollen stärker berücksichtigt werden
Der Richtlinienentwurf sieht eine stärkere Verankerung klimabezogener Faktoren in der Risikoeinschätzung (ORSA) der Versicherer vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass klimainduzierte Risiken wie beispielsweise Hagel- und andere schwere Stürme sowie Flutkatastrophen bereits seit dem Start von Solvency II in die Berechnung der Kapitalanforderungen eingehen.
Kaum Verbesserungen bei Proportionalität
Die mit dem Review angestrebte Vereinfachung des Regelwerks für kleinere bzw. weniger risikoexponierte Versicherer schlägt sich im Entwurf nieder – leider noch nicht ausreichend. Zwar ist es positiv, dass die Anforderungen von Solvency II bei Risikomanagement und Reporting automatisch überprüft und gegebenenfalls angepasst werden sollen. Die Unternehmensgröße bleibt aber das maßgebliche Kriterium – notwendig wäre ein Abgleich der Anforderungen mit den tatsächlichen Risiken im Geschäftsmodell.
Zinsextrapolation kurz und knapp
Die EU-Kommission schlägt eine Änderung der Methode zur Zinsextrapolation vor. Darum geht es:
Lebensversicherer müssen für langfristige Garantiezusagen ausreichende Rückstellungen bilden. Die Unternehmen kalkulieren, wie viel Kapital sie heute anlegen müssen, um eine künftig fällige Leistung erfüllen zu können. Je weiter die Zahlungsverpflichtung in der Zukunft liegt und je höher der angenommene Zins ist, desto niedriger fällt die heute erforderliche Rückstellung aus.
Vor Solvency II ergab sich dieser Zins aus dem durchschnittlichen Zinsniveau vergangener Jahre. Seit Solvency II müssen Versicherer ihre Verbindlichkeiten hingegen zu aktuellen Marktzinsen bewerten. Um die erforderlichen Rückstellungen für bestehende sehr langfristige Verbindlichkeiten berechnen zu können, muss man nicht nur die heutigen Zinsen, sondern auch die künftigen abschätzen können. Dazu sieht Solvency II eine sog. Zinsstrukturkurve vor, die – ausgehend vom heutigen Zinsniveau – die künftigen Zinsen modelliert (“extrapoliert“).
Wegen des massiven Zinsrückgangs seit 2008 fällt die Bewertung bestehender Verpflichtungen unter Solvency II höher aus – dementsprechend müssen Unternehmen höhere Rückstellungen als bislang bilden, und zwar auch für Verträge, die mitunter vor Jahrzehnten und in einem völlig anderen Aufsichtssystem geschlossen wurden.