Haftungsrisiken für Manager und Berater steigen
Das Pflichtenheft von Unternehmenslenkern wächst – und damit die Gefahr von Schadenersatzforderungen. Das spiegelt sich auch in steigenden Kosten der D&O-Versicherung wider.
Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte von Unternehmen sind nach Einschätzung der Versicherer wachsenden Haftungs- und Kostenrisiken ausgesetzt. „Wer unternehmerische Entscheidungen tritt, soll heute nicht nur ökonomisch richtig, sondern auch juristisch unangreifbar handeln. Das immer dichtere Netz aus Pflichten, Nachweislasten und formalen Anforderungen droht zum Hemmschuh für unternehmerisches Handeln zu werden“, sagt Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV.
Das umfangreicher gewordene Pflichtenheft von Managern und das aktuell schwierige wirtschaftliche Umfeld schlägt sich auch in der D&O-Versicherung nieder. „Sowohl die Zahl als auch die Höhe der Schäden ist in den letzten drei Jahren deutlich gewachsen. Manager werden nicht nur öfter zur Kasse gebeten, sondern sollen auch höheren Schadenersatz zahlen“, so Käfer-Rohrbach. Von 2023 zu 2024 stieg die Zahl der Fälle um knapp 12 Prozent auf 2.500. Jeder Schaden kostete die Versicherer im Schnitt mehr als 115.000 Euro, was einer Steigerung von fast 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet.
Gezielte Suche nach Pflichtverletzungen
Zusätzlich zu verschärften Haftungsregeln und Änderungen in der Rechtsprechung machen Experten ein verändertes Anspruchsverhalten gegenüber Managern und ihren Beratern aus. „Um Schadenersatzansprüche durchsetzen zu können, suchen Insolvenzverwalter nach einer Unternehmenspleite gezielt nach vorwerfbaren Pflichtverletzungen bei der bisherigen Unternehmensleitung“, sagt Wolfram Desch, Fachanwalt für Insolvenzrecht und Co-Leiter des Fokusbereichs Versicherungen (D&O) bei der Wirtschaftskanzlei Graf von Westphalen. Daneben würden etwaige Fehler von Beratern in den Fokus rücken. „Auch Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Rechtsanwälte sehen sich zunehmend mit Forderungen nach Schadenersatz konfrontiert“, so Desch.
Klagefreudige Investoren und Kunden
Die Zahl und Komplexität rechtlicher Auseinandersetzungen steigt zudem dadurch, dass Investoren und Kunden in den vergangenen Jahren deutlich klagefreudiger geworden sind. „Massenklagen von Kunden, neue Möglichkeiten für Verbandsklagen und die aktuelle Rechtsprechung zum Schadenersatz nach Datenschutzverstößen führen zu einer Flut von Rechtsstreitigkeiten, die das Kostenrisiko von Unternehmen weiter erhöhen“, sagt Daniel Kreienkamp, Bereichsleiter Vermögensschadenhaftpflicht / Financial Lines der Ergo Versicherung AG. Seien die so entstehenden Schäden auf Pflichtverletzungen der Leitungsebene zurückzuführen, müssten Manager am Ende persönlich haften.
Umfassende Dokumentation hilft im Ernstfall
Um sich vor einer späteren Haftung zu schützen, empfehlen die Experten insbesondere, relevante Entscheidungs- und Abwägungsgründe nachvollziehbar zu dokumentieren. „Im unternehmerischen Alltag muss man in aller Regel unter Unsicherheit entscheiden. Im Streitfall sollten Manager aber in der Lage sein, ihre Entscheidungen vor Gericht gut begründen und mit Belegen untermauern zu können“, so Kreienkamp.
Hintergrund: Was ist eine D&O-Versicherung?
Der Begriff D&O-Versicherung ist eine Abkürzung für Director‘s and Officer’s Liability Insurance. Sie ist eine besondere Form der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Mitglieder von Leitungs- und Aufsichtsorganen in Unternehmen, also zum Beispiel im Vorstand, in der Geschäftsführung oder im Aufsichtsrat. Die D&O-Versicherung sichert diese gegen Haftungsansprüche ab.
Beispielfälle
-
Fall 1: „Die insolvente Duft AG“
Die Duft AG verkauft Drogerieartikel, Parfüms und Lebensmittel im stationären Handel. Die insgesamt 100 Läden sind größtenteils in kreditfinanzierten, konzerneigenen Immobilien in B-Lagen untergebracht. Seit der Corona-Pandemie laufen die Geschäfte immer schlechter; Kunden bestellen zunehmend bei Konkurrenten im Internet, auch das hektisch vergrößerte Sortiment kann den Umsatz nicht spürbar ankurbeln.
Um in der Krise Geld zu sparen, streicht die Duft AG bereits beschlossene Dividendenzahlungen an die Aktionäre und kündigt nach Rücksprache mit der beratenden Anwaltskanzlei unter anderem ihr Kundenbindungsprogramm. Die gesammelten Bonuspunkte ihrer Kunden verfallen ersatzlos. Dagegen reicht die Verbraucherschutzorganisation „Verbraucherhilfe Deutschland“ eine Abhilfeklage ein, der sich bereits 6.500 Kunden angeschlossen haben. Für die eigenen Immobilien werden erfolglos Käufer oder andere Mieter gesucht. Zum Abschluss des Geschäftsjahres 2023 erteilt der Abschlussprüfer trotz der fraglichen Bewertung der Immobilien und mancher Ladenhüter im Sortiment der Duft AG einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Im Vertrauen drauf gewährt die Bank einen neuen Kredit. Als Signal an die verunsicherte Belegschaft zahlt die Duft AG daraufhin 50 Mitarbeitern für Ihre Dienstjubiläen einen freiwilligen Bonus. Eines der vier Vorstandsmitglieder wechselt Ende 2024 zur Konkurrenz.
Erst nachdem im ersten Quartal 2025 wiederholt Kreditzinsen, laufende Kosten, ausstehende Lieferantenrechnungen sowie Gehälter und Sozialabgaben für die insgesamt 1.200 An-gestellten zu spät oder unvollständig gezahlt wurden und mittlerweile auch noch Steuerschulden bestehen, stellt der AG-Vorstand endlich einen Insolvenzantrag. Der vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass die Duft-AG bereits seit zwei Jahren zahlungsunfähig/insolvenzreif war.
Um den Betrieb weiterführen zu können, schließt der Insolvenzverwalter mehrere Filialen und verkauft einzelne Immobilien unter dem aktuellen Marktwert.
Geltend gemachte Ansprüche
- Insolvenzverwalter gegen die aktuellen Vorstandsmitglieder
Schadenersatz wegen Insolvenzverschleppung und falscher Unternehmensführung - Insolvenzverwalter gegen das ausgeschiedene Vorstandsmitglied
Schadenersatz wegen Insolvenzverschleppung und falscher Unternehmensführung - Kunden gegen aktuelle und ausgeschiedene Vorstandsmitglieder
Leistungen aus dem gekündigten Bonusprogramm - Insolvenzverwalter gegen die Aufsichtsratsmitglieder
Schadenersatz wegen mangelnder Überwachung des Vorstands - Aktionäre der Duft AG gegen Vorstandsmitglieder
Schadenersatz wegen Insolvenzverschleppung und unrichtiger Darstellung der Vermögensverhältnisse - Finanzamt gegen Vorstandsmitglieder
Ausstehende Steuerschulden - Insolvenzverwalter gegen Wirtschaftsprüfer
Schadenersatz wegen fehlerhaft erteiltem Testat und Verletzung von Hinweis- und Warnpflichten - Insolvenzverwalter gegen Steuerberater
Schadenersatz wegen Verletzung von Hinweis- und Warnpflichten - Insolvenzverwalter gegen Rechtsanwälte
Schadenersatz wegen Falschberatung bei der Gestaltung und Kündigung des Bonusprogramms - Bank gegen Wirtschaftsprüfer
Schadenersatz wegen Ausfall des im Vertrauen auf den Bestätigungsvermerk ge-währten Kredits - Aktionäre gegen Wirtschaftsprüfer
Schadenersatz wegen Verlusten in Anlagen, in die im Vertrauen auf den Bestätigungsvermerk investiert wurde - Lieferanten und andere Insolvenz -und Massegläubiger gegen Insolvenzverwalter
Schadenersatz wegen Veräußerung firmeneigener Grundstücke unter dem Markt-wert und Bestellung von Waren, die der Insolvenzverwalter aus der Insolvenzmasse nicht bezahlen kann
Neue Haftungsrisiken
2017
- BGH-Urteil vom 26.01.2017 (Az. IX ZR 285/14): Der mit der Erstellung des Jahresabschlus-ses einer Gesellschaft beauftragte Steuerberater muss Mandanten auf einen möglichen Insolvenzgrund hinweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und der Mandant dieses noch nicht realisiert hat. Dieser Gedanke wird 2021 in § 102 StaRUG auf-gegriffen (zuletzt: BGH Az. IX ZR 56/22 zum Drittschutz der Hinweis- und Warnpflichten des anwaltlichen Beraters für Geschäftsführer einer juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit).
2021
- Inkrafttreten des Gesetzes zur Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierung (Sta-RUG) und des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes (SanIns-FoG) mit Konkretisierung und teilweiser Verschärfung der Organpflichten zum Gegen-steuern in der Unternehmenskrise (Krisenfrüherkennung und -management). Hinweis- und Warnpflichten gem. § 102 StaRUG insbesondere für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte führen auch für diese zum Teil zu Haftungsverschärfung.
- Neuregelung der Geschäftsführerhaftung für Zahlungen nach Insolvenzreife in § 15 b InsO.
- Verschärfung der Haftung von Abschlussprüfern durch das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG).
2023
- Inkrafttreten des Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG): Qualifizierte Verbraucherverbände und Verbraucherzentralen können gleichartige Leistungsansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegen ein Unternehmen ohne Kostenrisiko für die Verbraucher durchsetzen.
- Insolvenzverwalter gegen die aktuellen Vorstandsmitglieder
-
Fall 2: „Der Datenschutzverstoß des Immobilienverwalters“
Die deutschlandweit tätige Immobilienverwaltungs-GmbH speichert unter anderem Kontodaten und Gehaltsnachweise von Mietern. Die Gesellschaft hat zwei langjährige Geschäftsführer. Infolge eines Hackerangriffs werden 50.000 Datensätze von aktuellen und ehemaligen Mietern entwendet und im Darknet angeboten.
Möglich wurde der Angriff dadurch, dass alte Zugangsdaten zum IT-System des Immobilienverwalters bei einem früheren IT-Dienstleister gestohlen und für den Angriff genutzt wurden. Obwohl der Vertrag mit dem Dienstleister bereits drei Jahre zuvor beendet worden war, hatte die Immobilienverwaltungs-GmbH die Zugangsdaten zu ihrem IT-System nicht geändert. Darüber hinaus wurden die Daten ehemaliger Mieter versehentlich nicht gelöscht – obwohl das Unternehmen dazu nach Ablauf der einschlägigen Aufbewahrungsfristen verpflichtet war und auf diese Pflicht auch von ihrem als Datenschutzbeauftragter tätigen Rechtsanwalt hingewiesen worden war.
Über den Datenschutzverstoß wird breit in diversen Medien sehr kritisch berichtet. Die Verbraucherschutzorganisation („Verbraucherhilfe Deutschland“) reicht eine Abhilfeklage ein, der sich 8.000 Mieter anschließen. Geltend gemacht wird immaterieller Schadensersatz in Höhe von 3 Millionen Euro.
Die Datenschutzbehörde verhängt ein Bußgeld in Höhe von 250.000 Euro.
Als weitere Folge kündigen massiv große Vermieter die Zusammenarbeit mit der Immobilienverwaltungs-GmbH, der daraufhin über 7 Millionen Euro an Umsatz entgehen.
Geltend gemachte Ansprüche
- Betroffene Mieter gegen die Immobilienverwaltungs-GmbH
Schadenersatz wegen Datenschutzverstoß, Art. 82 DSGVO - Immobilienverwaltungs-GmbH gegen die Geschäftsführer
Schadenersatz wegen Verletzung von Sorgfaltspflichten (entgangener Umsatz durch Kündigung großer Vermieter und Bußgeldregress)
Neue Haftungsrisiken
2018
- Anwendung der Datenschutzschutz-Grundverordnung (DSGVO) und die dazu seitdem ergangene Rechtsprechung führt zum Teil zu Haftungsverschärfungen (Ersatz immaterieller Schäden und weitreichende Bußgelder) – insbesondere für Unternehmen und Verantwortliche, die personenbezogene Daten verarbeiten.
2023
- Inkrafttreten des Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG): Qualifizierte Verbraucherverbände und Verbraucherzentralen können gleichartige Leistungsansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegen ein Unternehmen ohne Kostenrisiko für die Verbraucher durchsetzen.
2024
- Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 4.10.2024 – Rs C-200/23: Auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die DSGVO kann ein immaterieller Schaden sein. Dem folgt der Bundesgerichtshof im „Scraping“-Urteil vom 18.11.2024 – (VI ZR 10/24).
- Betroffene Mieter gegen die Immobilienverwaltungs-GmbH