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Schaden & Unfall

S wie Schrott

Die Flutkatastrophe an der Ahr zerquetsche auch Tausende Autos. Die Wracks zu beseitigen erweist sich als Mammutaufgabe. Ein Besuch auf dem Autofriedhof zeigt, dass Versicherer mehr können als Schäden zu bezahlen.

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© Sebastian Knoth

Die Wassermassen zerstörten unter anderem Tausende Autos.

Wer am Kieswerk des Eifelstädtchens Plaidt vorbeifährt, wähnt sich in einem Kriegsgebiet: Rund 1500 Autowracks stehen auf einer Brachfläche neben der Bundesstraße, die Dächer plattgedrückt, faustbreite Spalten in den Karosserien, die Scheiben zerborsten. In manchen Fahrzeugen stecken ganze Äste. „So ein Ausmaß an Zerstörung habe ich noch nie gesehen“, sagt Hans-Georg Schmitt.  

Dabei gehören kaputte Autos für den Sachverständigen zum Alltag. Seit Jahren begutachtet er Kfz-Schäden für die Allianz, heute jedoch ist er für ein gemeinsames Projekt mehrerer Kfz-Versicherer unterwegs. Gemeinsam mit seinem Kollegen Dirk Thrien von der Provinzial muss er entscheiden, welche Fahrzeuge noch verwertet werden können und welche direkt in die Schrottpresse wandern. Die Zeit drängt, in wenigen Wochen muss der kurzfristig angemietete Platz wieder geräumt sein. Sehr schwierig, unter diesen Umständen jedes einzelne Fahrzeug ausführlich zu begutachten. „Dafür ist die Zahl viel zu hoch“, sagt Thrien. 

© Sebastian Knoth

„So ein Ausmaß an Zerstörung habe ich noch nie gesehen“, sagt Kfz-Gutachter Hans-Georg Schmitt.

Immer wieder quetschen sich die beiden zwischen den eng aneinander stehenden Wracks hindurch, um erkennen zu können, welche Teile des Autos eventuell noch zu gebrauchen sind. Bei manchen Wagen ist es unmöglich, an die Fahrgestellnummer zu kommen, weil die Kraft des Wassers den Stahl so stark verbogen hat. Der Anblick bringt die Bilder der Katastrophe zurück, die sich vor rund sechs Monaten eine halbe Autostunde entfernt von hier abgespielt hat. 

Rund 8000 Fahrzeuge wurden von der Flut zerstört 

Am 14. Juli 2021 verwandeln tagelange Regenfälle das beschauliche Flüsschen Ahr in einen reißenden Strom, der ganze Häuser wegreißt, Bäume entwurzelt und Brücken zertrümmert. 133 Menschen im Ahrtal kommen ums Leben. Bis die materiellen Schäden behoben sind, wird es Jahre dauern. Der GDV schätzt allein den versicherten Teil auf mehr als acht Milliarden Euro. Doch unmittelbar nach der Katastrophe ist vor allem schnelle, konkrete Hilfe nötig. Und auch hier leisten die Versicherer ihren Beitrag. 

„Das Leid war unvorstellbar“, sagt der Allianz-Sachverständige Schmitt, der schon wenige Tage später vor Ort war. Er war gekommen, um zerstörte Fahrzeuge zu begutachten, und traf auf verzweifelte Menschen, die Angehörige verloren hatten oder ohne Zuhause dastanden. Viele Autos hatte die Flut in Gebäude hineingespült, Wracks fanden sich auf Bäumen, Friedhöfen oder hochkant stehend in Vorgärten. „Wir schätzen, dass rund 8000 Fahrzeuge zerstört worden sind“, sagt eine Sprecherin der Kreisverwaltung. Die meisten in der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die Zahl der durch die Flut beschädigten Autos ist noch deutlich höher, die Versicherer schätzen die Zahl auf insgesamt 50.000 – allein dafür liegen die Kosten bei rund 450 Millionen Euro. 

Feuerwehr und Technisches Hilfswerk machen sich unmittelbar nach der Katastrophe daran, die ersten Fahrzeuge zu bergen. Auch die drei Abschleppdienste im Landkreis reagieren sofort. „Am Anfang sind wir einfach losgefahren, um zu helfen“, sagt David Bongart von der Bergungsfirma Floßdorf. Später arbeiten sie auf Zuruf von Behörden und Rettungsdiensten – und machen Erfahrungen, die sie sich zuvor nicht hätten vorstellen können. Viele Autos haben tagelang unter Wasser gestanden, sind voll mit Schlamm, Steinen und Geröll. „Wir haben einen VW-Golf geborgen, der wog 7,6 Tonnen“, sagt ein Abschlepphelfer. Das ist das Fünffache des normalen Gewichts. Die Firma muss einen Kranwagen ordern. 

Das nächste Problem: Die Automassen müssen irgendwo hin. Gemeinsam mit den Behörden erkunden die Abschleppdienste große Freiflächen in der Region. Einer liegt mitten in Bad Neuenahr-Ahrweiler, zwei weitere etwas außerhalb. Doch schon bald reicht der Platz nicht mehr, die Helfer beginnen, Wracks übereinander zu stapeln. Dadurch werden noch brauchbare Autos komplett zerstört. 

© Sebastian Knoth

Die vielen Autowracks zu entsorgen ist eine Mammutaufgabe.

 

Versicherer zahlen den vollen Wiederbeschaffungswert 

Für die Versicherer steht fest, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelt. Wie ein Schaden genau entstanden ist, spielt zunächst keine Rolle. „In einer solchen Situation muss man zuerst den Betroffenen helfen“, sagt Silke Rimmelspacher, die für die R+V Allgemeine Versicherung in der Regulierungskommission für die Flutschäden sitzt. Die an dem Projekt teilnehmenden Versicherer entschließen sich deshalb zu einer großzügigen Regelung: Im Rahmen des Projektes erhalten die Kunden von ihrer Kaskoversicherung in Fällen, in denen das Fahrzeug zerstört oder weggeschwemmt worden ist, den vollen Wiederbeschaffungswert erstattet. „Normalerweise wird von diesem Betrag ein möglicher Restwert abgezogen, den ein Abnehmer noch für das Wrack bieten würde“, sagt Thomas Geck von der HUK Coburg, ebenfalls Mitglied der Kommission.  

An eine Begutachtung jedes einzelnen Fahrzeugs ist allerdings selbst Wochen nach der Flut nicht zu denken, von manchen fehlt zunächst jede Spur, andere werden kilometerweit entfernt gefunden und lassen sich keinem Eigentümer mehr zuordnen. Die Kreisverwaltung richtet zwar ein Portal ein, über das Halter durch Eingabe ihres Kennzeichens abfragen können, ob ihr Auto geborgen wurde und wo es sich gegebenenfalls befindet. Doch selbst dann lassen sich die gestapelten Fahrzeuge weder gefahrlos besichtigen noch entnehmen.  

Ein Zwiespalt, denn nach geltendem Recht müssten die Halter die Wracks auf eigene Kosten beseitigen, auch wenn die Versicherung den Schaden ersetzt hat. Doch die Betroffenen haben in ihrer Lage wahrlich andere Sorgen, niemand will sie mit zusätzlichem Ärger und Aufwand belasten. 

Schnelle und unbürokratische Abwicklung der Schäden 

Also wohin mit den Schrottbergen? Das Problem drängt auch deshalb, weil einer der provisorischen Sammelplätze an der vielbefahrenen Heerstraße in Bad Neuenahr-Ahrweiler liegt. Für Anwohner und Passanten eine tägliche Erinnerung an die traumatisierenden Ereignisse der Flut. Und unerträglich. 

© Sebastian Knoth

Bevor ein Wrack verwertet werden darf, muss der Versicherer die Zustimmung des Kunden einholen. Das kostet Zeit, berichtet Bernd Wirtz von der Provinzial.

Die Kreisverwaltung bittet die Versicherungswirtschaft um Hilfe – und bekommt sie. „Der Versicherungsverband hat sofort seine Unterstützung zugesagt, um eine möglichst schnelle und unbürokratische Abwicklung zu erreichen“, so die Sprecherin der Behörde. Gemeinsam macht man sich an die Arbeit und erstellt Listen aller Fahrzeuge auf den Sammelplätzen. Die Versicherer kontaktieren die Kunden und fragen, ob sie mit der Verwertung des Fahrzeugs einverstanden sind. Eine Prozedur, die Zeit kostet. „Es mussten zahlreiche datenschutzrechtliche Bestimmungen beachtet werden“, sagt Bernd Wirtz von der Provinzial, der für die GDV-Kommission die Ereignisse verfolgt. Derweil werden neue Flächen für die Zwischenlagerung der Wracks gesucht, schwere Lastwagen transportieren sie zu den neuen zentralen Sammelstellen, unter anderem nach Plaidt. 

Dort sind die Sachverständigen noch Wochen später damit beschäftigt, die beschädigten Fahrzeuge zu sichten. Die Listen haben Hans-Georg Schmitt und Dirk Thrien an Klemmbrettern befestigt und machen sich Notizen. Auf Wracks, die zumindest in Teilen noch verwertet werden können, sprühen sie ein großes V. Eine Spezialfirma für gebrauchte Autoteile wird sich darum kümmern. „Bei rund 20 bis 30 Prozent der Fahrzeuge lässt sich noch etwas verwerten“, sagt Schmitt. Gefragt sind zum Beispiel Motoren oder Getriebe, die sich aufarbeiten lassen, oder auch Karosserieteile und Airbags. 

Bei den meisten Autos allerdings ist nichts mehr zu gebrauchen. Dann wird ein großes S auf die zerbeulte Karosserie gesprüht. S wie Schrott.

Text: Heimo Fischer

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