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Schaden & Unfall

Naturgefahrenreport 2022: Klimaresiliente Kommunen

Hochwasser und Dürre – der Klimawandel zeigt sich in seinen extremen Ausprägungen längst in Deutschland. Wie bremsen wir ihn ab? Wie passen wir uns an? Wie wollen wir in Zukunft mit Naturkatastrophen umgehen? Im GDV-Naturgefahrenreport 2022 gehen wir diesen Fragen mit dem Fokus auf Resilienz nach. Ein Beispiel für die klimaresiliente Kommune aus Brandenburg.

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© Picture alliance / Geisler-Fotopress

Viele kleine Schritte 

Leegebruch in Brandenburg wird vor fünf Jahren vom Starkregen geflutet und ist tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. Wie wappnet sich die Gemeinde vor Klimarisiken? Was brauchen klimaresiliente Kommunen? Am 29. Juni 2021, auf den Tag genau vier Jahre nach dem verheerenden Starkregen, schickt der Deutsche Wetterdienst eine Unwetterwarnung an die Gemeindeverwaltung: Schwere Unwetter sind zu erwarten, mit heftigem Starkregen bis zu 100 Litern pro Quadratmeter, über mehrere Stunden hin­weg. 100 Liter, nicht 250 wie im Jahr 2017.

Damals steht nahezu die Hälfte des Ortes tagelang knietief unter Wasser. Abgeschnitten von der Außenwelt, ohne Strom und Kanalisation. Bis zu 30 Zentimeter hoch steht das Wasser in den Erdgeschossen der Häuser, sprengt die Straßen, will einfach nicht weichen. Auch, als es längst nicht mehr regnet. „Ich glaube nicht an Zufälle“, sagt Bürgermeister Martin Rother angesichts des Datums. „Ich will meine Gemeinde schützen.“ Das funktioniert 2021. Ein wenig Wasser steht auf den Straßen. Mehr nicht.

„Ich will meine Gemeinde schützen.“
Martin Rother, Bürgermeister Leegebruch

Leegebruch, Gemeinde mit 7.000 Bewohnerinnen und Bewohnern in Brandenburg, liegt nicht in einem Hochwassergebiet. Leegebruch liegt 40 Kilometer nördlich von Berlin, zwischen den Städten Oranienburg und Velten. Es liegt am tiefsten Punkt dieser flachen Landschaft des Osthavellandes. „Wir sind wie ein Polder für die Region“, sagt der Bürgermeister. Zu viel, alles überschüssige Regenwasser fließt nach Leegebruch. Kann es nicht weiterfließen, wie 2017, läuft Leegebruch zu. In einem Ausmaß, das der Ort, das die ganze Region nicht kennt bis dahin. Die Gemeinde schützen heißt: für eine Regenwasser­Infrastruktur sorgen. In vielen kleinen Schritten, die 2022, fünf Jahre danach, in einem sogenannten Generalentwässerungsplan auch für die Zukunft vorsorgen. Für Klimaresilienz.

Aufnehmen und stark bleiben

„Ja, jede Kommune sollte klimaresilient sein“, sagt Maike Voß vom Zentrum KlimaAnpassung. Schließlich sei jede Kommune unterschiedlichen Klimarisiken ausgesetzt. Das heißt, es braucht auch jede Kommune ein individuelles Resilienzkonzept. Das Zentrum KlimaAnpassung begleitet im Auftrag des Bundesumweltministeriums Städte und Gemeinden in Deutschland auf ihrem Weg in die Resilienz.

„Jede Kommune ist Klimarisiken ausgesetzt.“
Maike Voß, Zentrum KlimaAnpassung

Was braucht es dafür? Eine Analyse der örtlichen Klimarisiken; auch eine Bestandsaufnahme dessen, was an Infrastruktur und Manpower vorhanden ist und genutzt werden kann. Welche Risiken sind bereits dokumentiert oder kartiert? Wie viel Wasser fasst die Kanalisation? Wo ist das Wasser beim jüngsten Unwetter hingelaufen? Welche Orte bieten Schatten und Kühle bei Hitze? Der Analyse folgt ein Resilienzkonzept. Und ebenso wichtig, so Expertin Georgi, ist auch ein Monitoring. Wo funktioniert es? Was sollte verändert werden?

„Klimaresilienz bringt Gewinn und kann neue Märkte und Arbeitsplätze erschließen.“
Birgit Georgi, Klimaresilienz-Expertin

Modell der Starkregenresilienz

Leegebruchs größte Gefahr birgt der Starkregen. Ihre Resilienz baut die Gemeinde in vielen kleinen Schritten. Bürgermeister Rother lässt direkt nach der Überschwemmung die Ursachen untersuchen. Leegebruch stellt das Krisenmanagement mit zusätzlichem Personal neu auf, schützt sich durch Vorsorge, Bauten und wassersensible Flächennutzung. Ist damit ein kleines kommunales Modell der Starkregenresilienz in Brandenburg.

Die Gemeinde lässt sich über den Deutschen Wetterdienst rechtzeitig vor Unwettern warnen. Dann tritt der Krisenstab zusammen. Ein Krisenbuch – print und on­line – enthält alle wesentlichen Informationen: Wer ist wann zu informieren? Wo ist Hilfe? Eine Katastrophenbeauftragte verbindet das Netzwerk aus Verantwortlichen der Gemeinde, Feuerwehr, Hilfskräften.

Der Hauptabfluss der Gemeinde, der Muhrgraben östlich Leegebruchs, wird regelmäßig auf Hindernisse für den Wasserabfluss geprüft: Gestürzte Bäume, Erdrutsche beseitigen sie – über Gemeindegrenzen hinweg. Unter der Eichenallee, der Hauptstraße, ist der Durchfluss auf zwei Meter erhöht, damit sich zu viel Wasser nicht mehr stauen und Straße und Ort überfluten kann.

Eine Fläche am südlichen Rand Leegebruchs, zwischen Einfamilienhäusern und Muhrgraben, ist als Überflutungsfläche vor Bebauung geschützt. Hier steht das Wasser 2017, hier soll es im Wiederholungsfall erneut Auslauf finden. Zwei neue Sirenen warnen im Ernstfall die Bewohnerinnen und Bewohner. Wöchentlich gibt es Probealarm.

Das Zusammenspiel aller

Klimaresilienz gelingt am besten im Zusammenspiel aller, sagt Klimaexpertin Georgi. „Was nützt es, wenn eine Kommune ihre Kanalisation dem zunehmenden Starkregen anpasst, die Bevölkerung aber ihre Vorgärten bepflastert?“ Und Maike Voß vom Zentrum KlimaAnpassung zählt Beispiele dieses Zusammenspiels aller auf. Eine Kölner Band komponiert einen Hitze­-Song mit Schutzhinweisen für ältere Menschen und tourt damit durch Altenheime. Die Elbe-­Gemeinde Boizenburg in Mecklenburg-­Vorpommern vereint auf einer Klimafit­-Plattform Ideen und Projekte der Menschen für Klimaschutz und Klimaresilienz – von Schatteninseln bis zu Streuobstwiesen und einem per Sonnenenergie betriebenen Kino.

Das Zusammenspiel aller in einer Stadt lebenden Menschen, dazu entsprechendes Personal und Finanzen. Das erscheint für kleinere Orte oft schwierig. Doch könnten zum Beispiel mehrere Gemeinden eine gemeinsame Klimaanpassungsmanagerin oder einen gemeinsamen Klimaanpassungsmanager finanzieren. Fortbildungen und Vernetzung für diese Fachleute der Klimaresilienz bietet das Zentrum KlimaAnpassung.

Wenn Klimaresilienz von Beginn an in Flächen­ und Bauplänen einbezogen wird, dann muss es nicht teurer werden, sagt Birgit Georgi. Im Gegenteil: Oft ist es teurer, nachträglich etwa Überschwemmungsbarrieren oder Hitzeschutz zu schaffen. Die Expertin plädiert auch deswegen für eine gesetzliche Pflicht zu kommunaler Klimaresilienz.

Das Ausbalancieren

Leegebruchs viele kleine Schritte zur Klimaresilienz sind ein Balancieren zwischen behördlichen Zuständigkeiten und den finanziellen Mitteln einer mittelgroßen Gemeinde. So muss die geplante Turnhalle noch warten – die Bevölkerung trägt den Ausbau der Regenwasserinfrastruktur mit.

Es ist auch ein zeitintensives Ringen mit Gesetzen und Interessenkonflikten. Weil Leegebruch kein amtlich ausgewiesenes Überschwemmungsgebiet ist – und damit amtlich kein Überschwemmungsrisiko besitzt –, kann es derzeit weitere Flächen nicht als Polderflächen erwerben. Weil Biber im Muhrgraben bauen, entscheiden Naturschutzbehörden jedes Mal aufs Neue, ob ihre Bauten als Durchflusshindernisse beseitigt werden dürfen.

Leegebruchs Generalentwässerungsplan wird in diesem Jahr in der Bevölkerung besprochen, dann dem zuständigen Landratsamt zur Genehmigung vorgelegt. Er sieht eine Kombination aus ober­ und unterirdischem Regenablauf vor. Neu verlegte unterirdische Leitungen führen das Wasser zu unterirdischen Sammelbecken. Von dort wird es weiter in die Muhre beziehungsweise zu den oberirdischen Auslaufflächen gepumpt. Ein Millionenprojekt, ein Projekt für mehrere Jahre Bauzeit.

Der 29. Juni, der Tag der schweren Überschwemmung, bleibt eine Markierung in der Geschichte Leegebruchs. In den Ortsteilen treffen sich die Menschen in der Erinnerung, es gemeinsam überstanden zu haben. Der Schrecken des Wassers bleibt auch über diesen Tag hinaus. Immer dann, wenn sich Menschen zusammenfinden – auf Festen, Hochzeiten, Schulbeginnfeiern –, irgendwann im Verlauf der Zeit ist der 29. Juni 2017 Gesprächsthema.

Das Zentrum KlimaAnpassung

Das Zentrum KlimaAnpassung ist die bundesweite Beratungs- und Informationsstelle für Kommunen und soziale Einrichtungen in Sachen Klimaresilienz, beauftragt vom Bundesumweltministerium. Es bietet Beratung, auch zu Fördergeldern, und Fortbildung für Bürgermeisterinnen und Klimaanpassungsmanager. Es vernetzt zudem Fachleute und Hilfesuchende.

Alle Ausgaben des Naturgefahrenreports finden Sie hier im Bereich Publikationen. 

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