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Nachhaltigkeit

Naturbezogene Risiken im Fokus von EZB und Europäischer Kommission

Die Wirtschaft hängt in hohem Maße von Leistungen und Ressourcen aus der Natur ab. EZB und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) haben ein Konzept für die makroprudenzielle Aufsicht naturbezogener Risiken erarbeitet. Eine neue Studie der EU-Kommission will Unternehmen mit einem Methoden- und Bewertungsrahmen für potenzielle finanzielle Risiken aus dem Biodiversitätsverlust unterstützen.

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© Unsplash / Caroline Hernandez

Sauberes Grundwasser, frische Luft, stabile Böden – diese Grundvoraussetzungen für unser Leben und die Wirtschaft stellt die Natur zur Verfügung. Wir sind abhängig von diesen so genannten „Ökosystemdienstleistungen“. Welche Finanzmarktrisiken ergeben sich, wenn wir sie verlieren? Das haben EZB und der Europäische Aussicht für Systemrisiken (ESRB) als Zusatzbaustein in ihrem Rahmen für die makroprudenzielle Überwachung von Klimarisiken (PDF) analysiert, der im Dezember 2023 veröffentlicht wurde. Klima- und Naturrisiken sind eng verbunden und sollten zunehmend integriert betrachtet werden.

Ähnlich wie bei Klimarisiken unterscheidet die EZB physische Risiken aufgrund von Naturschäden und Transitionsrisiken aus Maßnahmen zum Schutz, zur Wiederherstellung oder zur Reduzierung der physischen Auswirkungen. Naturschäden können starke, temporäre Auswirkungen haben, beispielsweise bei Wasserknappheit. 26 Prozent des Europäischen BIP wurden im Jahr 2015 von Sektoren produziert, die auf Süßwasser angewiesen sind. Chronische Auswirkungen ergäben sich hingegen, wenn Böden dauerhaft unfruchtbar würden.

EZB und ESRB wollen vorausschauend die finanziellen Stabilitätsrisiken durch Naturschäden modellieren und bewerten können. Doch der Weg dahin ist noch weit und so stellen sie zunächst bereits vorliegende Expositionsanalysen für die EU-Finanzsektoren und -märkte vor.

Hohe Exposition europäischer Finanzinstitute

Die Analysen zeigen, dass europäische Finanzinstitute erheblich gegenüber naturabhängigen Sektoren exponiert sind. Eine Realisierung von Naturrisiken könnte daher schwerwiegende Folgen für das Finanzsystem haben. 75 Prozent der Unternehmenskredite der Euro-Banken beziehen sich auf Wirtschaftssektoren, die von mindestens einer Ökosystemdienstleistung stark abhängig sind.

Versicherer sind den Naturrisiken indirekt durch ihre Kapitalanlagen und Verbindlichkeiten ausgesetzt. Ihre operativen Geschäftsprozesse haben hingegen wenig Einfluss auf die Natur. Beispiele für Transitionsrisiken sind erhöhte Schadenzahlungen in der (Umwelt-)Haftpflicht- und Kreditversicherung. Physische Risiken könnten sich in steigenden Schäden durch Betriebsunterbrechungen oder in der Agrarversicherung niederschlagen.

Bei den naturbezogenen Risiken in den Kapitalanlagen europäischer Versicherer stützt sich die EZB auf EIOPAs Analyse vom Juni 2023: Konservativ geschätzt steckt ein knappes Drittel der Unternehmensanleihen und Aktien in Wirtschaftszweigen, die stark von mindestens einer Ökosystemdienstleistung direkt abhängig sind. Besonders groß ist deren Abhängigkeit von Oberflächen- und Grundwasser sowie vom Hochwasser- und Sturmschutz. Ein erheblicher Anteil der Versichererportfolios ist in andere Finanzinstitute investiert. Deren direkte Abhängigkeit von Ökosystemleistungen ist zwar gering, doch allmählich zeigt sich, dass in deren Kreditportfolien erhebliche Naturrisiken schlummern könnten.

Die angelaufenen Initiativen in der EU zu naturbezogenen Risiken des Finanzsystems stehen noch ganz am Anfang. Denn Daten und etablierte Modellierungsansätze zu naturbezogenen Gefahren fehlen aktuell. Auch der Link zwischen Klima- und Umweltrisiken wird noch selten berücksichtigt. In den kommenden Jahren wird es hier rasche Fortschritte geben, auch auf Basis der Erfahrungen aus den Klimawandelszenarien.

Methoden- und Bewertungsrahmen für Finanzinstitute

Unterdessen hat die EU-Kommission im März 2024 eine Studie veröffentlicht, die den europäischen Finanzsektor bei der eigenen Risikoanalyse unterstützen will. Sie richtet sich auch an Versicherer. Vorgestellt wird ein flexibler methodischer Rahmen für die Messung und Quantifizierung der Risiken durch Umweltschäden und den Verlust der biologischen Vielfalt. Mit praktischen Vorschlägen sollen Finanzinstitute angeregt werden, naturbezogene Risiken schrittweise in ihre Nachhaltigkeitsrahmen und Entscheidungsprozesse zu integrieren.

Für eine Risikoanalyse der EU-Finanzinstitute sind laut der Studie die Sektoren Landwirtschaft, Immobilien und Bauwesen sowie das Gesundheitswesen besonders relevant. Denn sie sind sowohl besonders abhängig von Ökosystemen als auch wirtschaftlich bedeutsam.

Klar ist, dass eine umfangreiche Risikobewertung in den Unternehmen noch nicht möglich ist: Auch diese Studie weist darauf hin, dass Szenarien, Daten über die Abhängigkeiten in Wertschöpfungsketten und lokale Informationen zur Biodiversität fehlen. Die Unternehmen können sich daher schrittweise herantasten, beispielsweise über Pilotstudien, um ihre eigenen naturbezogenen Risiken besser zu verstehen und zu managen.

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