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„Versicherer sind keine notorischen Neinsager“

Seit 15 Jahren gibt es einen Versicherungsombudsmann. Am Mittwoch zieht ein prominent besetztes Symposium in Berlin Bilanz. Der amtierende Streitschlichter der Branche, Prof. Günter Hirsch, im Interview über Wirksamkeit, Höhen und Tiefen seiner Arbeit als Ombudsmann, warum Dieselgate-geschädigte VW-Kunden auf ihre Rechtsschutzversicherung hoffen können – und den kuriosesten Fall seiner Amtszeit.

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Herr Professor Hirsch, seit nun 15 Jahren gibt es den Versicherungsombudsmann. Was hat diese Institution aus Ihrer Sicht bewirkt?
Günter Hirsch: Sie hat mehr Verbraucherschutz gebracht. Das ist gut für die Verbraucher, aber auch für die Unternehmen, deren Image ja bekanntermaßen nicht immer das Beste ist. Verbraucher sind zwar rechtlich sehr gut geschützt. Aber was nutzt einem Kunden die beste Rechtsvorschrift, wenn er sie nicht effektiv durchsetzen kann? Insoweit ergänzt die außergerichtliche Streitbeilegung den Weg zu den Gerichten und bietet den Versicherungsnehmern eine einfache, schnelle und kostenlose Möglichkeit, ihre Interessen zur Geltung zu bringen.

Sie bekleiden die Stelle des Ombudsmannes der Versicherungsbranche nun selbst schon seit 2008. Hat sich Ihr Blick auf die Versicherungswirtschaft verändert?
Hirsch: Ja. Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass die Versicherer keine notorischen Neinsager sind. Natürlich gibt es Schwachstellen. Aber im Verlauf der Jahre habe ich gesehen, dass die Unternehmen den Wert, auch den ökonomischen Wert, von Kundenzufriedenheit durchaus zu schätzen wissen. In einem Beschwerdefall kann es für ein Unternehmen wirtschaftlich günstiger sein, einzulenken und eine gütliche Einigung zu erzielen, anstatt die eigene Position streitig durchzusetzen. Ich sehe es als großen Fortschritt an, dass die Unternehmen immer häufiger im Beschwerdeverfahren Spielräume, die ihnen das Recht lässt – was keineswegs durchgängig der Fall ist – zu Gunsten des Kunden nutzen. Zudem agieren die Unternehmen transparenter – Versicherungsbedingungen, die der Durchschnittsbürger nicht versteht, sind weder im Interesse der Verbraucher noch der Versicherungsunternehmen und rufen nur öffentliche Kritik hervor.

Sehen Sie sich mehr als Schiedsrichter oder Vermittler bei Streitfällen?
Hirsch: Wenn die Rechts- und Sachlage klar sind, entscheide ich. Dann bin ich eher in der Position eines Richters. Wenn das nicht so eindeutig ist, versuche ich, eine gütliche Einigung herbeizuführen. Dann möchte ich mit einem Schlichtungsvorschlag beide Parteien zusammenbringen.

Gibt es Fälle aus Ihrer neunjährigen Praxis, über deren erfolgreiche Lösung sie sich besonders gefreut haben?
Hirsch: Besonders gefreut hat mich beispielsweise die Lösung eines tragischen Falls: Ein Familienvater war im dampfigen Badezimmer zu Fall gekommen, hatte sich dabei die Halsschlagader an einer Glastür aufgeschnitten und war verstorben. Er war zwar unfallversichert. Aber es war unklar, ob der Mann ausgerutscht war und es sich somit bei dem Sturz um einen Unfall gehandelt hat, oder um die Folge einer Herzattacke, bei der die Unfallversicherung nicht leisten muss. Die Witwe hätte nachträglich beweisen müssen, dass es ein Unfall gewesen ist. Das konnte sie nicht mehr. Der Versicherer hat sich mit der Witwe gütlich geeinigt. Ich habe mich gefreut, dass das Unternehmen in solch einem menschlich tragischen Fall es nicht auf einen Rechtsstreit ankommen lassen wollte.

Gab es auch Fälle, über die Sie sich besonders geärgert haben?
Hirsch: Davon gab es leider einige. Das sind etwa Fälle, bei denen die Unternehmen glauben, sie hätten bei mir eine Bühne für einen, wie es so schön heißt, „Kampf ums Recht“. Da sollten die Unternehmen besser von Anfang an sagen, dass sie keine Schlichtungsmöglichkeit sehen und auf jeden Fall eine gerichtliche Entscheidung wollen, statt mein Verfahren in die Länge zu ziehen.

Was war Ihr kuriosester Fall?
Hirsch: Das war ein Kunde, der sich über seinen langjährigen Versicherungsvermittler beschwerte. Der würde, und jetzt zitiere ich wörtlich, „zu intim mit seiner Ehefrau“ umgehen. Er wolle aber weder seine Ehefrau verlieren noch den Versicherungsmitarbeiter – und ich solle doch bitte vermitteln.

Und? Haben Sie?
Hirsch: Nein. Ich konnte mir aber nicht verkneifen, ihm zu schreiben, dass ich nur für den geschäftlichen Verkehr zuständig sei.

Die Vermittler stehen oft im Zentrum der Kritik an der Versicherungsbranche. Spiegeln das Ihre Erfahrungen wider?
Hirsch: Das spiegelt sich in der Zahl der Beschwerden nicht wider. Nur etwas über 300 der insgesamt rund 20.000 Beschwerden richteten sich im letzten Jahr gegen Vermittler persönlich. Allerdings sind die Vertragspartner der Kunden ja in aller Regel die Versicherungsunternehmen, nicht Vertriebsmitarbeiter. Somit sind diese meist nicht Beschwerdegegner, selbst wenn es etwa um mangelhafte Beratung durch sie geht.

Der Versicherungsombudsmann stand Modell für die vergangenes Jahr erfolgte gesetzliche Einführung von Schlichtungsstellen in anderen Branchen. Sie haben dennoch teilweise auch Kritik geübt. Warum?
Hirsch: Ich habe es immer sehr begrüßt, dass es jetzt einen flächendeckenden Zugang von Verbrauchern zu einer außergerichtlichen Streitbeilegung gibt. Allerdings sollte man den Verbraucher mehr an der Hand nehmen. Es gibt inzwischen eine Fülle an Schlichtungsstellen. Woher soll der Verbraucher wissen, an welche Stelle er sich wenden soll, wenn es beispielsweise um einen Streit über einen Realkredit von einem Versicherungsunternehmen geht? An den Banken-Ombudsmann oder – richtigerweise – an mich? Bei den komplizierten Zuständigkeitsregeln sind die Verbraucher nicht selten überfordert bei der Suche nach der richtigen Schlichtungsstelle. Deshalb steigt bei allen Ombudsmann-Einrichtungen die Anzahl falsch adressierter Eingaben. Dadurch aber geht wertvolle Zeit verloren, die unter Umständen dazu führt, dass Kunden bestimmte Fristen für Eingaben versäumen, sie mithin also auch Klagerechte verlieren können. Deshalb sollte es eine gemeinsame Plattform geben, eine zentrale Einlaufstelle, die Verbraucherbeschwerden an die zuständige Schlichtungsstelle verweist.

Sehen Sie dafür den Gesetzgeber in der Pflicht?
Hirsch: Die Schlichtungsstellen-Landschaft ist so zersplittert, dass das tatsächlich nur der Gesetzgeber hinbekommen würde.

Früher haben sich Kunden oft über Lebensversicherer beschwert. Zuletzt waren eher Sach- und Unfallversicherungen zunehmend Gegenstand von Beschwerden beim Ombudsmann. Sind die Lebensversicherer so viel besser geworden oder die Sachversicherer restriktiver?
Hirsch: Dass sich früher so viel mehr Menschen über Lebensversicherer bei mir beschwert haben, liegt vor allem an einer Fülle von Grundsatzentscheidungen der Gerichte. Diese Entscheidungen brachten viel Unsicherheit – nicht nur bei den Kunden, sondern auch für die Versicherer, die ihre Vertragsbedingungen umstellen mussten. Inzwischen haben sich die Lebensversicherer weitgehend auf diese neuen Bedingungen eingestellt. Von daher kommen jetzt weniger Beschwerden.

Und die Sachversicherer?
Hirsch: Die Zunahme liegt nicht an einer Verschlechterung des Regulierungsverhaltens. Im Gegenteil: Die Verbraucherschützer üben durchaus erfolgreich Druck auf die Branche aus, kundenfreundlich zu entscheiden. Wir haben das ja zuletzt bei den Sommerunwettern gesehen: Dort haben die betroffenen Versicherungsunternehmen in aller Regel schnell und großzügig Schäden beglichen.

In den vergangenen Jahren gab es mehr Beschwerden über Rechtsschutzversicherer. Werden die Deutschen zunehmend streitlustiger und ziehen vor Gericht?
Hirsch: Erich Kästner hat es einmal so formuliert: „Wenn ein Deutscher hinfällt, steht er nicht sofort wieder auf, sondern fragt als erstes: Wer muss mir jetzt Schadenersatz zahlen?“ Hinzu ist allerdings gekommen, dass unser Alltag rechtlich immer komplizierter wird. Da kommen neue Regeln aus Europa und vom nationalen Gesetzgeber. Außerdem verändern die Deutschen ihre Gewohnheiten: Sie legen beispielsweise Geld viel öfter in Aktien oder anderen Anlageprodukten an. Gerade der Finanzsektor ist aber äußerst streitträchtig. Deshalb gibt es hierzu viele Streitfragen und damit viele Rechtsschutzbeschwerden.

Es gab ja zuletzt öfter Berichte, dass Rechtsschutzversicherer eine Deckung von Prozessen ablehnen, mit denen VW-Autobesitzer auf Rückabwicklung ihrer Kaufverträge klagen. Ist das legitim?
Hirsch: Die Deckung wurde abgelehnt, weil Rechtsschutzversicherer davon ausgegangen sind, dass die VW-Kunden keinen Anspruch auf Rückgabe ihres Autos, auf Schadenersatz oder Annullierung des Vertrages haben. Vielmehr könnten sie nur Nachbesserung der mangelhaften Software verlangen, und die habe VW ja längst zugesichert. Anderslautende Stichentscheide haben diese Versicherer nicht anerkannt. Darüber haben sich einige Betroffene beim Versicherungsombudsmann beschwert. Inzwischen ändert sich aber die rechtliche Einschätzung dieser Frage: Viele der Rechtsschutzversicherer, die bislang eine Deckung von Klagen gegen VW ablehnten, haben Regulierungsvereinbarungen mit der wichtigsten Kläger-Anwaltskanzlei geschlossen. Da zeichnen sich jetzt einvernehmliche Lösungen ab.

Interview: Thomas Wendel

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