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Klima

Klimafolgenanpassung: „Vorsorgen, vorsorgen, vorsorgen!“

Zu Beginn des Weltklimagipfels in Glasgow zeigen sich die Folgen des Klimawandels deutlicher als jemals zuvor. Wie sich Deutschland daran anpassen muss - Antworten von der stellvertretenden GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach.

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© GDV/Butzmann

Die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach: „ Untätig zu bleiben ist keine Option. Das können wir uns als Gesellschaft heute schon nicht leisten – und kommende Generationen erst recht nicht.“

Frau Käfer-Rohrbach, Deutschland hat mit den Sommer-Fluten eine der bisher größten Naturkatastrophen erlebt. Werden wir solche Wetterextreme häufiger sehen?
Anja Käfer-Rohrbach:
Davon müssen wir leider ausgehen. Das bestätigen auch jüngste wissenschaftliche Studien.

Also den Klimawandel mit aller Macht stoppen?
Käfer-Rohrbach:
Wir können tatsächlich einen Großteil der Klimabelastung reduzieren – gerade auch für unsere Kinder –, wenn wir die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen. Aber: Klimaveränderungen, die wir heute beobachten, sind nicht das Ergebnis aktueller, sondern früherer Emissionen. Über den Klimaschutz hinaus müssen wir uns daher auch mit dem Schutz vor den Folgen des Klimawandels beschäftigen.

„Noch immer planen und bauen wir vielerorts nach überholten Maßstäben, ohne Extremwetterlagen und deren Konsequenzen zu bedenken. Das muss sich rasch ändern.“
Anja Käfer-Rohrbach, Stellv. GDV-Hauptgeschäftsführerin

Hat die Hochwasserkatastrophe in Süd- und Westdeutschland nicht mit erschreckender Wucht dokumentiert, dass es dafür längst zu spät ist?
Käfer-Rohrbach: 
Ich denke nicht, dass es zu spät ist, aber es ist höchste Zeit. Prävention und Klimafolgenanpassung müssen zudem eine deutlich höhere Priorität bekommen. Noch immer planen und bauen wir vielerorts nach überholten Maßstäben, ohne Extremwetterlagen und deren Konsequenzen zu bedenken. Das muss sich rasch ändern. Denn je später wir beginnen, unser Bauplanungs- und Bauordnungsrecht an den Klimawandel anzupassen, desto mehr Menschenleben bringen wir in Gefahr und desto größer wird der Schaden in der Zukunft ausfallen. 

Konkret rechnen Sie aktuell allein für die Flutkatastrophe dieses Sommers mit versicherten Schäden von gut 7 Milliarden Euro… 
Käfer-Rohrbach: 
…die Flut hat gezeigt: Versicherer beherrschen ihr Kerngeschäft und kommen ihren Verpflichtungen gegenüber den Kunden nach. Sie erfüllen damit eine wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe. Auch außerhalb solcher Katastrophen leisten wir Jahr für Jahr Milliarden für Schäden durch Naturgefahren. Wir sichern damit Existenzen – vom Eigenheimbesitzer bis zum Großunternehmen. Und bis auf Weiteres können wir den Klimawandel und seine Folgen schultern. 

Bis auf Weiteres?
Käfer-Rohrbach: 
Wenn es nicht gelingt, die Erderwärmung deutlich unter dem 2-Grad-Ziel des Pariser Klimagipfels zu halten, kann es schwierig werden, die Versicherung von Naturgefahren in der bestehenden Form anzubieten. Vor allem dann, wenn wir Klimafolgenanpassung, Prävention und Aufklärung keine höhere Priorität einräumen. Es gilt hier und jetzt: vorsorgen, vorsorgen und nochmals vorsorgen! 

Wie?
Käfer-Rohrbach: 
Sich auf die Folgen des Klimawandels einzustellen, ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Bund, Länder und Kommunen sind nicht nur bei Deichen, Dämmen und Poldergebieten gefragt, sondern müssen die Klimafolgenanpassung als Schutzziel in Gesetzen und Normen verankern. Flankiert werden muss dies durch individuelle Vorsorge von Immobilienbesitzern und dem Versicherungsschutz im Rahmen einer Elementarschadenpolice.

Und was tun Versicherer?
Käfer-Rohrbach: 
Unsere Kernkompetenz in die Waagschale werfen: Risiken bewerten, versichern, Schäden schnellstmöglich regulieren. Niemand kann zufrieden sein, wenn bundesweit nur 46 Prozent der privaten Wohngebäude gegen Elementarschäden versichert sind – auch wir nicht. Die Debatte, wie wir diese Situation ändern, wird sicherlich das kommende Jahr bestimmen. Zugleich zeigt sich, wo die Stärken der privatwirtschaftlichen Schadenregulierung liegen. Die Prozesse sind etabliert, nichts muss ad hoc „aus dem Boden gestampft“ werden. Wenige Wochen nach dem Extremwetterereignis haben wir bereits weit über 1,5 Milliarden Euro an unsere Kundinnen und Kunden ausgezahlt – während sich Unversicherte weiter durch einen Antragsdschungel kämpfen müssen. Zudem geben Versicherer auch praktische Hilfe bei den Aufräumarbeiten, beraten über das weitere Vorgehen, etwa zu Reparaturen, Sanierung oder Neuaufbau nach Totalschäden. 

Die Bilder aus den Flutgebieten machten oft wenig Hoffnung, dass die Bausubstanz noch zu retten ist…
Käfer-Rohrbach:
 …selbst die beste Vorsorge kann kaum verhindern, dass besonders gefährdete Gebiete etwa an Flüssen und Bächen von Hochwasser überspült werden. Deswegen dürften dort auch keine Baugebiete ausgewiesen werden – eigentlich. Ausnahmen bestätigen leider die Regel. Da ist für jeden das Passende dabei. Der Gesetzgeber räumt den Naturgefahren, anders als etwa Feuer, noch immer nicht die notwendige Relevanz ein. Die Schweizer sind da weiter, dort sind bestimmte Hochrisikozonen strikt von der Bebauung ausgenommen. 

Das hört sich nach viel Überzeugungsarbeit an…
Käfer-Rohrbach: 
Ja und nein. Die Flutkatastrophe – mitten in diesem Wahljahr – hat den Klimawandel für alle greifbar werden lassen. Leider neigen wir Menschen dazu, schlimme Erlebnisse zu verdrängen und zu vergessen. Nur wenn wir das Momentum nutzen und jetzt alle Akteure in ein Gesamtkonzept einbeziehen, werden wir die vor uns liegenden Herausforderungen schultern können. Klar ist: das wird nicht leicht, das wird viel kosten. Alle wissen aber auch: Untätig zu bleiben ist keine Option. Das können wir uns als Gesellschaft heute schon nicht leisten – und kommende Generationen erst recht nicht.

Interview: Jörn Paterak

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