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Klima

Debatte um Elementarschaden-Pflichtversicherung: Opt-out ist Teil der Lösung

Naturkatastrophen nehmen zu – und mit ihnen der politische Druck, die Bevölkerung besser zu schützen. Die Bundesregierung plant Reformen, die Versicherungswirtschaft legt ein Gesamtkonzept vor. Statt Pflichtversicherung fordert sie einen Dreiklang aus Opt-out-Versicherungsschutz, verbindlicher Prävention und staatlicher Partnerschaft bei Extremrisiken.

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© picture alliance / dpa / Jason Tschepljakow

Luftbildaufnahmen der aus den Ufern getretenen Ilm im Juni 2024: Angesichts zunehmender Naturgefahren braucht es einen umfassenden Ansatz, der die gesellschaftlichen und finanziellen Herausforderungen angeht. 

Starkregen, Hochwasser, Überschwemmungen – Naturgefahren nehmen zu, ihre Schäden ebenfalls. Der Klimawandel verschärft Frequenz, Intensität und räumliche Ausbreitung solcher Ereignisse – mit spürbaren Folgen für private Haushalte, Kommunen und die öffentliche Hand. Angesichts dieser Entwicklung rückt der Elementarschutz politisch immer stärker in den Fokus.

Vor diesem Hintergrund wird aktuell intensiv über die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden diskutiert. Die Versicherungswirtschaft begrüßt die neue Dynamik – warnt jedoch vor einfachen Antworten. „Dass die Bundesregierung den Elementarschutz im Koalitionsvertrag verankert hat, ist ein wichtiges Signal“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. „Angesichts der zunehmenden Naturgefahren brauchen wir einen umfassenden Ansatz, der die gesellschaftlichen und finanziellen Herausforderungen angeht.“

Elementarversicherungsschutz für alle – aber mit Augenmaß

Die Idee einer allgemeinen Pflichtversicherung mag auf den ersten Blick einfach wirken: Wer verpflichtet ist, sich zu versichern, ist im Schadenfall geschützt. Doch sie greift strukturell zu kurz. „Versicherungsschutz ist zweifellos ein zentraler Baustein – aber er allein genügt nicht“, sagt Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin. „Wir lösen damit nicht das Problem des fortschreitenden Klimawandels. Entscheidend ist, dass wir uns jetzt damit befassen, wie Versicherungsschutz auch künftig in Hochrisikogebieten bezahlbar und überhaupt möglich bleibt. Als Versicherer setzen wir uns daher seit langem für ein umfassendes Konzept ein, das neben Versicherungsschutz auch Prävention und Klimafolgenanpassung umfasst.“

Opt-out statt Zwang: Verantwortung ermöglichen

Der Vorschlag der Versicherungswirtschaft lautet deshalb: eine Elementarschadenversicherung für alle mit einem Opt-out – das heißt verbindlich im Prinzip, aber mit Entscheidungsfreiheit und klaren Konsequenzen für diejenigen, die sich bewusst gegen den Versicherungsschutz entscheiden. Wohngebäudeversicherungen sollten künftig automatisch eine Elementarschadendeckung enthalten. Wer diese nicht möchte, sollte sie aktiv abwählen können – müsste dann aber auch schriftlich erklären, im Schadenfall keine staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Damit wird der Schutz zur Regel, ohne die Vertragsfreiheit aufzugeben.

„Die Formulierungen im Koalitionsvertrag bieten hier eine gute Grundlage – insbesondere die Überlegungen zu einer Opt-out-Lösung gehen in die richtige Richtung“, so Asmussen. „Klar ist aber auch: Keine Form der ‚Pflicht‘ senkt Schäden und macht Versicherungen automatisch günstiger.“

Drei Komponenten für einen wirksamen Elementarschutz

Der GDV schlägt ein Naturgefahren-Gesamtkonzept vor, das auf drei ineinandergreifenden Komponenten basiert:

  • Flächendeckender, aber freiwilliger Versicherungsschutz mit Opt-out
    Elementarschutz wird zum Standard – mit der Option auf Verzicht
  • Verbindliche Prävention und Klimafolgenanpassung
    Rechtliche Vorgaben für risikobewusstes Planen und Bauen: unter anderem Baustopp in Überschwemmungsgebieten, ein bundesweiter Naturgefahrenausweis, gezielte Entsiegelung von Flächen sowie eine Klima-Gefährdungsbeurteilung bei Baugenehmigungen
  • Öffentlich-private Partnerschaft für Extremrisiken
    Bei sehr seltenen, aber besonders schweren Schadenlagen braucht es ein Sicherungssystem, das den Markt stabilisiert – ohne ihn zu verdrängen

Nur mit dem Zusammenwirken aller Komponenten können Elementarschäden bezahlbar und versicherbar gehalten werden.

Öffentlich-private Partnerschaft: Flood Re als Vorbild

Wer Bezahlbarkeit und Versicherbarkeit auch in gefährdeten Lagen sichern will, muss das System nicht durch eine Pflichtversicherung vom Kopf auf die Füße stellen. Es geht auch anders: Ein gutes Beispiel liefert Großbritannien. Dort wurde mit Flood Re im April 2016 ein Versicherungssystem etabliert, das auch hochwassergefährdeten Haushalten bezahlbaren Versicherungsschutz ermöglicht – ganz ohne Pflichtversicherung. Versicherer können Hochrisikoverträge zu festen Prämien an Flood Re abgeben. Diese Prämien liegen niedriger als die risikotechnisch eigentlich notwendigen Versicherungsbeiträge. Das System wird dabei solidarisch mit einer Abgabe über alle Verträge finanziert. Zugleich hat sich der britische Staat verpflichtet, so in Prävention und Klimafolgenanpassung zu investieren, dass die Prämienunterstützung bis 2039 überflüssig wird.

Auch wenn das Modell nicht 1:1 übertragbar ist: Deutschland kann von Flood Re lernen, wie ein gezielter Ausgleichsmechanismus für besonders gefährdete Gebäude ausgestaltet sein kann – ohne den Versicherungsmarkt dauerhaft zu verzerren. Zudem zeigt das Modell, wie wichtig es ist, politische Aufmerksamkeit auf Prävention und Risikotransparenz zu lenken. Es unterstreicht die Notwendigkeit, staatliche, kommunale und private Akteure gemeinsam in die Verantwortung zu nehmen.

Ganzheitlicher Lösungsansatz

Die Bundesregierung hat den politischen Handlungsbedarf erkannt. Die im Koalitionsvertrag skizzierte Richtung ist aus unserer Sicht ein tragfähiger Ansatz. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an. 

Eine Opt-out-Lösung bietet den richtigen Ordnungsrahmen: Sie erhöht die Versicherungsdichte, lässt aber individuelle Wahlfreiheit zu und sorgt mit den flankierenden Maßnahmen für mehr Prävention. Entscheidend dabei ist, dass Prävention und Klimafolgenanpassung verbindlich umgesetzt werden: Zum Beispiel muss es endlich aufhören, dass immer mehr Gebäude in amtlichen Überschwemmungsflächen genehmigt werden.

Die Versicherungswirtschaft steht bereit, ihren Teil beizutragen – mit Know-how, Daten und Produkten. Jörg Asmussen formuliert es so: „Nur mit einem durchdachten Gesamtkonzept aus Prävention, Versicherungsschutz und Risikoteilung mit dem Staat für den Fall extremer Naturkatastrophen bleibt der Schutz vor Klimarisiken auch in Zukunft bezahlbar und versicherbar.“