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Klima

Die Schutz-Partnerschaften

Bauern haben zunehmend mit witterungsbedingten Ernteausfällen zu kämpfen. Eine Mehrgefahrenversicherung könnte ihre Existenz absichern. Wie, das zeigen Pilotprojekte für den Obst- und Weinbau in Baden-Württemberg und Bayern.

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© Katharina Fial

In Baden-Württemberg können Obstbauern ihre Kirschernte gegen Frostschäden versichern – mit staatlicher Unterstützung. 

Ja, sagt Obstbauer Dieter Mainberger, ja, in den vergangenen Jahren haben ihm die Spätfröste sehr zugesetzt. Eigentlich sind es die vergangenen fünf Jahre, da diese sogenannten Spätfröste Ertrag und Qualität seiner Kirschen und Äpfel mindern. 14 Nächte in Folge mit Minusgraden im April 2021, ein frostiger Mai 2020, starker Frost im April und Mai 2017, Frost im April 2016.

Eine Gefahr, die der 55-Jährige bis dahin nicht kennt. Mainbergers Obstplantagen, gemeinsam mit seiner Frau Angelika in vierter Generation bewirtschaftet, liegen an Hängen in der Gemeinde Kressbronn am nördlichen Bodensee. Fröste haben bis vor fünf Jahren höchstens die im Tal, wo sich Feuchtigkeit und Kälte sammeln. Jetzt kriecht die Gefahr die Hänge hoch. Der Klimawandel bringt schon früher im Jahr wärmere Tage, verschiebt das Knospen und Aufblühen von Kirschen, Äpfeln, Weinreben nach vorn. Setzen dann kalte Nächte ein, auch nach den Eisheiligen im Mai, erfrieren die zarten Blüten oder erleiden Schäden. Seit einigen Jahren ist der Frost, gemeinsam mit Hagel und sommerlicher Hitze, ein gefährlicher jährlicher Begleiter des Obstbauern. Und das bei Weitem nicht nur am Bodensee oder in Baden-Württemberg. In ganz Deutschland.

Bis zu 50 Prozent Zuschuss vom Land

„Der Klimawandel ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung“, sagt Peter Hauk, Landwirtschaftsminister Baden-Württembergs. Das südwestlichste Bundesland ist das erste Bundesland, das in einem Pilotprojekt seit 2020 Versicherungsprämien für Frost, Sturm oder Starkregen bezuschusst. Hauk: „Bei der Unterstützung der Bauern zum Aufbau eines Risikomanagements geht es darum, Anreize zu schaffen, um letztendlich existenzgefährdende Situationen abwenden zu können.“ Mit bis zu 50 Prozent beteiligt sich Baden-Württemberg an den Prämien. Das macht die sogenannte Ertrags- oder Mehrgefahrenversicherung für Obstbäuerinnen und Winzer erst bezahlbar.

In anderen europäischen Ländern sind staatliche Zuschüsse auch für andere landwirtschaftliche Branchen längst üblich, verschaffen deren Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren deutschen Pendants. Das baden-württembergische Pilotprojekt unterstützt zunächst die Branchen, die am stärksten betroffen sind. 2017, im schlimmen Frostjahr, gibt es Ernteausfälle bis zu 100 Prozent.

Sicherheit statt Ad-hoc-Hilfen

Ein Jahr nach Baden-Württemberg, 2021, führt auch Bayern die partnerschaftliche Versicherung ein. „Das ist auch eine Form der Gerechtigkeit“, sagt Anton Hübl, Referatsleiter im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. „Wir können den Steuerzahlenden nicht zumuten, jedes Mal im Schadenfall mit hohen Ad-hoc-Hilfen einzuspringen.“ Auch Bayern finanziert Winzerinnen und Obstbauern bis zur Hälfte des Versicherungsbeitrages für Frost-, Starkregen- und Sturmschäden.

© Anton Hübl
„Der Klimawandel betrifft grundsätzlich alle. Deshalb planen wir, ein Förderprogramm zur Versicherung witterungsbedingter Ernterisiken für die gesamte Landwirtschaft ab 2023 einzurichten.“
Anton Hübl, Referatsleiter im Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Dieter Mainberger hat 2020 eine Frost-Versicherung für sein Obst abgeschlossen. Auf insgesamt zehn Hektar wachsen Süß- und Sauerkirschen, Äpfel, Birnen und Pflaumen. Mainbergers liefern an Privatkundschaft und an den Großhandel, machen selbst Most und Obstbrand.

Schutzmaßnahmen sind aufwendig und teuer

Der Frost, der die Hänge hochkriecht und die Blüten vernichtet. Wirksamen Schutz vor dieser Gefahr gibt es nicht. Vor Hagel schützt Dieter Mainberger seine Kirschen, Äpfel, Birnen und Pflaumen mit Hagelschutznetzen, die sie nach der Blüte über die Bäume hängen. Gegen Frost versuchen es manche aus der Branche mit Wasser. Künstlich beregnet, umhüllt dann eine dünne Eisschicht die zarten Knospen oder Blüten. Sie gibt einerseits Energie an die Blüte ab, andererseits schützt sie vor Minusgraden. Der Nachteil: Es braucht Unmengen dieses künstlichen Regens. Stündlich etwa 30.000 Liter pro Hektar. Es braucht zudem riesige Vorratsspeicher für das Wasser. Ein Verfahren, das nicht nachhaltig ist. Auch das Beheizen der Bäume oder das Durchwirbeln der Luft zwischen den Stämmen ist aufwendig und wenig Erfolg versprechend.

„Wir versuchen es mit Folienüberdeckung bei den Kirschen und mit Anbauplanung, vor allem bei den Äpfeln“, sagt Mainberger. Da, wo Standorte frostgefährdet sind, pflanzen sie weniger empfindliche Sorten. Weniger Jonagold und Elstar, die sehr stark auf Frost reagieren. Die Schäden sind vielfältig. Erfrieren nicht die Blüten, so können die Äpfel später sogenannte Frostnasen ausbilden – kleine Beulen und Unebenheiten. Dann entsprechen sie nicht mehr der Gütequalität, bringen weniger Erlös, im schlimmsten Fall gar keinen.

Landwirtschaft ist so wetterabhängig wie kaum eine andere Branche 

„Ja, Frost ist existenzgefährdend. Es kann bis zu 100 Prozent Ertragsausfall gehen. Existenzielle Gefahren müssen abgesichert werden“, sagt Mainberger, der auch Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Tettnang ist. 50 Prozent staatliche Zuschüsse findet er gut und angemessen. Es ist auch gut, dass die Bundesländer die Verantwortung für den Klimawandel übernehmen. Diese wiederum verweisen darauf, dass der Beistand nicht nur das Risikomanagement der Unternehmen fördere, er sorge auch dafür, dass die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung gesichert ist. Hübl: „Kaum eine Branche ist schließlich so wetterabhängig wie die Landwirtschaft.“ Baden-Württemberg verweist darauf, dass eine entsprechende Versicherung die Voraussetzung für eine leistungsstarke, resiliente und zukunftsfähige Landwirtschaft sei – vor dem Pilotprojekt gab es in dem Bundesland keine Frostversicherung.

© MLR Baden-Württemberg
„Wir wollen unser Modellprojekt fortführen und es bei einer Beteiligung des Bundes zu einer vollständigen Mehrgefahrenversicherung erweitern.“
Peter Hauk, Landwirtschaftsminister in Baden-Württemberg

Bis zu 80 Prozent des Ertragsverlustes decken die Versicherungen in Baden-Württemberg und Bayern, 20 Prozent tragen die Versicherten selbst. Die konkrete Summe richtet sich nach Anbausorte und -fläche. Voraussetzung für eine staatliche Beteiligung sind zudem weitere Kriterien: Versichert werden Bestände, die nicht durch Gewächshäuser etc. geschützt sind. Diese Kriterien haben die jeweiligen Ministerien gemeinsam mit Versicherungsunternehmen erarbeitet.

Die hohe Nachfrage bestätigt den Bedarf: 2021 versichern sich in Baden-Württemberg 1.600 führende Köpfe landwirtschaftlicher Obst- und Weinbaubetriebe, 250 mehr als im Startjahr des Pilotprojekts. Damit liegt über knapp der Hälfte der Landesanbaufläche für Kernobst der Frostschutz, ebenso über 35 Prozent der Weinberge. In Bayern beteiligen sich bereits im ersten Jahr 450 Unternehmen der Branche. Sie bewirtschaften ein Viertel der gesamten Anbaufläche. Zu schätzen wissen die Bäuerinnen und Bauern nicht nur das Angebot, auch die unkomplizierte Antragstellung. „Komplett digital“, so Anton Hübl, ist der Weg zum Schutz vor Frost, Starkregen und Sturm.

Wunsch nach starker Beteiligung

Mainbergers Versicherungspolice deckt im Fall eines Schadens die Kosten. Er hat diese Variante gewählt, weil sie für ihn die wirtschaftlichste ist. Sein Unternehmen steht mit touristischen Angeboten auf einem weiteren Standbein: Auf dem Hof können Feriengäste übernachten. Kostendeckend bei Verlust, das sind rund 15.000 bis 20.000 Euro pro Hektar – für Pflege und Schnitt der Bäume, für das Mähen des Grases zwischen den in drei Meter Abstand stehenden Stämmen.

Die Hälfte der Versicherungsprämie bezuschusst das Land. Mehr ist für ihn nicht leistbar, die Prämie hat sich für 2021 wegen zahlreicher Schäden und hoher Schadenzahlungen im Vorjahr erhöht. Für bestimmte Sorten muss er2020 Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen – das hat gut funktioniert, es war, wie Mainberger sagt, „nahezu kostenneutral“. Mainbergers Wunsch: Die Policen müssen bezahlbar bleiben, auch wenn sich die Schadenjahre mehren. Deswegen sollten sich Bund und Europäische Union an der Bezuschussung beteiligen.

Pilotprojekte laufen zunächst für drei und zwei Jahre

Drei Jahre läuft das partnerschaftliche Modell zunächst in Baden-Württemberg, zwei Jahre in Bayern. Beide Länder wollen es nach entsprechender Evaluation verlängern, arbeiten an Lösungen auch für weitere landwirtschaftliche Branchen. Beide machen sich auf Bundesebene dafür stark, dass entsprechende Zuschüsse im ganzen Land möglich werden.

Dieter Mainberger hat auch 2021 wieder Ertragsausfälle bei den Kirschen. Der Schaden ist zwar geringer, als ein Sachverständiger der Versicherung direkt nach dem Frost geschätzt hat, doch es ist ein Schaden. Die Äpfel werden wohl kein Rekordjahr bringen, aber es wird reichen. „Es ist mir auch lieber, wenn die Versicherung nicht zahlen muss. Ich will mein Obst auf den Markt bringen. Dafür arbeite ich ja schließlich.“

Text: Katharina Fial