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Digitalisierung

Drittanbieter sollen unionsweit auf Versicherungsdaten zugreifen können

Im Rahmen der Europäischen Datenstrategie sollen Daten zwischen Mitgliedsstaaten und wirtschaftlichen Schlüsselsektoren leichter zugänglich gemacht werden. Die Versicherungswirtschaft soll dabei nach bisherigen Vorstellungen in ein Rahmenwerk für ein offenes Finanzwesen – Open Finance – eingebunden sein.

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© Unsplash

Versicherungsdaten sollen künftig EU-weit sektorübergreifend geteilt werden. Die Branche spricht sich für einen marktbasierten, freiwilligen Ansatz aus.

Open Insurance

Die Versicherungswirtschaft soll ihre Daten nach Willen der Europäischen Kommission künftig Drittanbietern zur Verfügung stellen. Punktuell findet dies längst statt, etwa beim Maklermandat oder Schadenfreiheitsrabatt. Dabei handelt es sich jedoch stets um maßgeschneiderte Lösungen zum jeweiligen Anwendungsfall.

„Open Insurance“ würde hingegen heißen, Versicherungsdaten unionsweit auf Wunsch des Kunden allen berechtigten Drittanbietern über dieselbe Infrastruktur verfügbar zu machen – in der höchsten Ausprägung sogar kontinuierlich und in Echtzeit. Die Versicherungswirtschaft soll dabei in ein Rahmenwerk für ein offenes Finanzwesen – Open Finance – eingebunden sein.

Vorteile für Verbraucher und Branche

Für Verbraucherinnen und Verbraucher könnte es dadurch deutlich leichter werden, Zusatzleistungen oder innovative Versicherungslösungen zu erwerben:

  • Embedded Insurance: Erstversicherer könnten über sogenannte Programmierschnittstellen (APIs) direkt mit Drittanbietern, z. B. aus dem Bereich Tourismus und Reisen, kooperieren und ohne Zeitverlust maßgeschneiderte Policen für Reisende anbieten.
  • Schadenvermeidung: Sensoren und Aktoren sind im Alltag längt allgegenwärtig und helfen dabei, zahlreiche Risiken zu vermeiden. Diese Daten könnten direkt mit dem Versicherungsanbieter geteilt werden und somit innovative Versicherungslösungen ermöglichen.

Generell hat die Versicherungsbranche ein hohes Interesse daran, mit Einwilligung des Kunden mehr Daten aus allen Wertschöpfungsbereichen nutzen zu können, um Versicherungsprodukte noch bedarfs- und kundengerechter auszugestalten. Dies gilt für alle Branchen. Aktuell fordert der GDV beispielsweise: „Daten vernetzter Autos gehören nicht den Autoherstellern, sondern in die Hände der Autofahrer!“

Erfolgsfaktoren für das Rahmenwerk und dessen Umsetzung

Open Finance und Open Insurance sind vielversprechende Ideen – sowohl für die Branche selbst als auch für ihre Kundinnen und Kunden. Dennoch ist Vorsicht anzumahnen, und reine Euphorie ob der großen Wachstumspotenziale wäre zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht. Denn die Gesetzgebung steht noch am Anfang, sodass zentrale Punkte der Umsetzung eines Rahmenwerks für ein offenes Finanz- und Versicherungswesen noch weitgehend ungeklärt sind:

  • Anwendungsbereich Der Gesetzgeber muss noch festlegen, welche Daten vom Anwendungsbereich des Rahmenwerks erfasst sein sollen. Wird es sich dabei um Finanz- und Versicherungsdaten oder sogar branchenübergreifende Daten handeln? Auf Grund der Sparten- und Produktvielfalt im Versicherungsbereich zeichnet sich die Datenlandschaft durch eine deutlich höhere Komplexität aus als zum Beispiel im Zahlungsverkehr. Viele Daten sind zudem personenbezogen oder anderweitig vertraulich oder schutzbedürftig.
     
  • Form des Datenteilens Die Datenteilung kann entweder allgemein verpflichtend sein oder rein freiwillig erfolgen. In Frage kämen auch Hybridformen zwischen diesen beiden Polen, wobei der Zugang zu bestimmten Datenklassen dann über „Premium APIs“ erworben werden könnte. Unabhängig vom gewählten Modell müssen aus Sicht der Versicherer ausgewogene Anreize gefunden werden, damit sowohl der Datennehmer als auch der Datengeber ein Interesse daran haben, an einem aktiven Datenaustausch teilzunehmen.
  • Technische Umsetzung Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Komplexität ist die Übermittlung von Versicherungsdaten über APIs besonders voraussetzungsreich. Auch die Schnittstellen müssen vereinheitlicht werden. Um möglichst praxisnahe Lösungen zu finden, sollten frühzeitig Kooperationsformen unter enger Einbeziehung der Industrie eingerichtet werden. Die Kosten für die Implementierung und Wartung der technischen Infrastruktur müssen verhältnismäßig bleiben.
     
  • Regulatorik Gegenwärtig koexistieren auf europäischer Ebene mindestens acht Regelwerke, die sowohl einzelne Schlüsselbranchen und spezifische Datenräume als auch Datenzugänge rechtlich definieren. Diese müssen zu einem kohärenten Gesetzesrahmen harmonisiert werden, damit der EU-Binnenmarkt für Daten nicht überreguliert ist. Ebenfalls klärungsbedürftig sind absehbare Überschneidungen mit nationalen Legislativvorgaben.

Position der Versicherer

Die Versicherer sprechen sich bei der Datenteilung für einen freiwilligen, marktbasierten Ansatz aus, der an bereits bestehende Praktiken anschließt. Mehrwerte erwarten sie v. a. im sektorübergreifenden Zugang zu Daten, wobei für die Datenübermittlung faire Vergütungsmodelle gefunden werden sollten. Datensilos würden die Branche als horizontalen Markt überproportional stark benachteiligen. Auch regulatorisch und technisch muss die Interoperabilität der Datenräume so sichergestellt werden, dass kein Player Daten einseitig bereitstellt.

Kommissionsvorschlag im Sommer 2023

Aktuell bereitet die Europäische Kommission einen Gesetzesvorschlag zu Open Finance und Open Insurance vor, mit dem im Juni 2023 zu rechnen ist. Die Idee der unionsweiten Datenteilung inspiriert und kündet von erheblichen Marktchancen. Allerdings müssen die inhaltlichen, technischen und regulatorischen Konturen des Datenteilens noch weiter geschärft werden, damit spürbare Mehrwerte entstehen können.

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