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Österreichs Staatshaushalt ächzt unter Rentenlasten

Nicht nur Deutschland diskutiert über die Reform der Altersvorsorge. Der Rentenzuschuss wird in Österreich zu einer immer größeren Belastung für den Staatshaushalt - das vermeintliche Muster-Land stößt an rentenpolitische Grenzen.

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© Laurindo Feliciano

Blick nach Österreich: 30 Prozent der Steuereinnahmen könnten schon 2021 in die gesetzliche Rentenversicherung fließen. Ökonomen warnen vor finanzieller Schieflage und fordern mehr betriebliche und private Vorsorge.

Beim Blick nach Süden kann man als deutscher Ruheständler neidisch werden: Während hierzulande das Renteneintrittsalter bis 2031 auf 67 Jahre steigt (und die weitere Erhöhung bereits diskutiert wird), dürfen Österreicher mit 65 aus dem Arbeitsleben ausscheiden, Frauen derzeit sogar mit 60. Und nicht nur das: Ein österreichischer Rentner bekommt auch noch deutlich mehr Altersruhegeld als ein deutscher – und das bei nahezu gleichen Bruttolöhnen. Sozialverbände und linke Parteien nennen das Wiener Modell immer wieder als Vorbild für Deutschland, „Rentners Traum“ schwärmt die „Süddeutsche Zeitung“. Dabei ist das alpenländische Pensionssystem – in Österreich werden alle Rentner „Pensionisten“ genannt – im eigenen Land durchaus umstritten.

Österreich gibt deutlich mehr Steuergeld pro Rentner aus als Deutschland

Von der Grundstruktur her ähneln sich die Alterssicherungssysteme diesseits und jenseits der Grenze. Beide bestehen aus drei Säulen: der staatlichen Rentenversicherung, der betrieblichen Altersversorgung sowie der privaten Vorsorge. Die gesetzliche Pflichtversicherung wird jeweils im Umlageverfahren finanziert, das heißt, die Renten werden aus den Beiträgen der aktuell Erwerbstätigen bezahlt. Da diese nicht ausreichen, die Ausgaben zu decken, schließt der Staat die Lücke mit Steuergeldern. Österreich gehört im europäischen Vergleich zu den Ländern mit den höchsten Rentenzahlungen im Verhältnis zur Wirtschaftskraft. 2019 lagen die gesamten Ausgaben für Pensionsleistungen bei knapp 56,1 Milliarden Euro. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entspricht dies einem Anteil von 14,1 Prozent. Für Deutschland liegt der Vergleichswert bei 12,7 Prozent – und darin sind die Zuschüsse für die ostdeutschen Rentner, die während ihrer Berufstätigkeit nicht oder nicht über die volle Dauer Beiträge eingezahlt haben, schon enthalten. 

Der demografische Wandel wird im österreichischen Rentensystem nicht ausreichend berücksichtigt

Die großzügige Alimentierung macht sich in der Rentenhöhe bemerkbar:  Wer in Österreich 2019 in den Ruhestand ging, erhält von der Pensionsversicherungsanstalt PVA durchschnittlich 1529,53 Euro pro Monat. Ein deutscher Neurentner bekommt im Schnitt nur 918 Euro überwiesen. Hinzu kommt, dass die Senioren im Nachbarland auch noch Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhalten: Die Renten in Österreich werden 14-mal pro Jahr gezahlt, in Deutschland nur zwölfmal. „Das österreichische Pensionssystem bietet eine breite soziale Abdeckung, basierend auf Beitragshöhe und Beitragsjahren. Es berücksichtigt jedoch nicht im ausreichenden Ausmaß die demografischen Veränderungen“, kritisiert Elisabeth Stadler, Vorstandsvorsitzende der Vienna Insurance Group (VIG), Österreichs größter Versicherungsgruppe. Die Folge: Der Staatszuschuss zur Pensionskasse wird bis 2024 nach Schätzung des Finanzministeriums um fast 25 Prozent auf 25,9 Milliarden Euro steigen. „Dies belastet das Staatsbudget im Vergleich zu anderen Ländern überproportional“, sagt Andreas Zakostelsky, Obmann vom Fachverband der Pensionskassen in der Wirtschaftskammer Österreich. „Hier ist Österreich wohl kein Vorbild für Deutschland.“ Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien in Wien, verlangt eine Reform zur Sicherstellung der langfristigen Finanzierbarkeit des Rentensystems. 

Anders als in Deutschland spielt die private Altersvorsorge in Österreich nur eine untergeordnete Rolle

Doch nicht nur der Staat, auch die Berufstätigen werden kräftig zur Kasse gebeten. Aktuell  liegt der Beitragssatz bei 22,8 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Einkünfte, wobei die Arbeitgeber den größeren Anteil tragen müssen: Sie zahlen 12,55 Prozent, die Arbeitnehmer 10,25 Prozent ein. In Deutschland gilt derzeit ein Beitragssatz von 18,6 Prozent, zu dem beide Seiten je die Hälfte beisteuern. Zudem besteht in Österreich ein Rentenanspruch erst nach 15 Beitragsjahren, hierzulande reichen bereits fünf Jahre aus. Daher gibt es bei uns auch mehr Minirenten, was wiederum den statistischen Durchschnittswert drückt. Umgesetzt hat Österreich einen Punkt, über den in Deutschland seit Jahren politisch heftig diskutiert wird: Schon seit 2005 werden Beamte schrittweise in das staatliche Pensionssystem eingegliedert, voraussichtlich 2040 wird der Übergang abgeschlossen sein. Selbstständige wurden je nach Berufsgruppen bereits zwischen 1958 und 1997 in die allgemeine Rentenversicherung einbezogen. In Deutschland gibt es für Beamte, Landwirte und Kammerberufe wie Ärzte oder Rechtsanwälte jeweils eigene Alterssicherungssysteme.

Wenig Bewusstsein für die Notwendigkeit privater Vorsorge

Verglichen mit dem großen Nachbarn im Norden spielen in der Alpenrepublik die betriebliche und private Altersvorsorge nur eine untergeordnete Rolle. „Das Verständnis und die Förderungen für die zweite und die dritte Säule sind in Deutschland weit ausgeprägter als in Österreich“, sagt VIG-Chefin Stadler, was sie keinesfalls als Pluspunkt für ihre Heimat verstanden wissen will. Das Bewusstsein der Österreicher für die Notwendigkeit privater Vorsorge ist deutlich geringer ausgeprägt. Der Großteil der Menschen verlässt sich auf die staatliche Säule – kein Wunder angesichts der vergleichsweise paradiesischen Rentenhöhe. Zwar führte die damalige Mitte-rechts-Regierung aus ÖVP und FPÖ 2003 die sogenannte prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge ein, eine Art österreichische Version der Riester-Rente – allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass die Versicherer 40 Prozent der vereinnahmten Beiträge in Aktien anlegen mussten, die vor allem über die Wiener Börse  zu ordern waren. Gleichzeitig sollte jedoch das eingezahlte Kapital garantiert sein. Die Finanzkrise 2008 machte es faktisch unmöglich, beide Ziele gleichzeitig zu erreichen. Trotz mehrerer Gesetzesnovellen fristet das Produkt inzwischen ein Nischendasein.

Die Zahl der Rentner wird bis 2050 um mehr als eine Million ansteigen   

In Deutschland führte die 2001 von der rot-grünen Regierung beschlossene Rentenreform zu weit grundlegenderen Verschiebungen. Im Jahr 2015 hatten rund 70 Prozent aller Beschäftigten eine Riester-Rente oder einen Vertrag zur betrieblichen Altersversorgung abgeschlossen – 20 Prozent sogar beides. Insofern bedeutet der Vergleich der gesetzlichen Renten in Deutschland und Österreich nicht zwingend, dass die Rentner hierzulande im Durchschnitt tatsächlich weniger Geld zur Verfügung haben. In einer Gesamtbetrachtung sind auch die anderen Einkünfte zu berücksichtigen – und hier stehen die Deutschen verglichen mit ihren Nachbarn im Süden deutlich besser da. „Der Nachteil der Altersvorsorge in Österreich ist der fast ausschließliche Fokus auf die erste Säule, die durch die Alterung der Gesellschaft immer instabiler wird“, sagt der Ökonom Dénes Kucsera von der Denkfabrik Agenda Austria. So werde die Zahl der Rentner bis 2050 um mehr als eine Million ansteigen, während die Erwerbsbevölkerung um einige Hunderttausend zurückgehen werde. Hinzu komme, so Kucsera, „dass die Pensionisten eine große Wählergruppe darstellen und somit die Pensionen durch Wahlzuckerl erhöht werden. Dies vergrößert die Pensionslücke zusehends.“

Die „Hacklerregelung“ kommt Österreich teuer zu stehen

Damit spielt der Wissenschaftler auf die kurz vor den Parlamentswahlen ausgeweitete sogenannte Hacklerreglung an. Als „Hackler“ werden in Österreich umgangssprachlich körperlich schwer arbeitende Menschen bezeichnet, etwa in der Stahl- oder Baubranche. Sie können ohne finanzielle Einbußen bereits vor dem gesetzlichen Pensionsalter in Rente gehen. Im Herbst 2019 beschloss das Parlament die Ausweitung dieser Sonderregelung auf weite Teil der Erwerbstätigen. Seit Anfang 2020 können etwa auch Büroangestellte nach 45 Beitragsjahren mit 62 abschlagsfrei in Rente gehen – was Tausende bereits in Anspruch genommen haben und was langfristig zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe verursacht. Schon vor der Gesetzesänderung galt Österreich als Paradies für Frührentner. Viele Menschen sind bereit, auch finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen, um so früh wie möglich in Ruhestand zu gehen. So liegt das Renteneintrittsalter bei Männern im Schnitt bei 61,1 Jahren, Frauen verabschieden sich im Mittel schon mit 59,3 Jahren aus dem Job. Zum Vergleich: In Deutschland gingen die Männer im vergangenen Jahr mit 64,0, die Frauen mit 64,5 Jahren in Rente.

Zu viele Frühpensionäre: Kanzler Kurz zieht die Notbremse

Nach intensiven Diskussionen mit dem grünen Koalitionspartner zog Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP Mitte November die Notbremse: Die erweiterte Hacklerreglung wird zurückgedreht, um die auch durch die Corona-Krise explodierenden Staatsausgaben in den Griff zu bekommen. „Wir müssen als Staat schauen, dass wir funktionsfähig bleiben“, sagte Kurz. „Wenn wir jetzt noch Maßnahmen setzen, dass die Menschen immer früher in Pension gehen, dann werden die sozialen Maßnahmen, die wir in der Krise setzen, irgendwann nicht mehr leistbar sein.“ Ab 2022 entfällt der Freibrief zur Frührente dann gilt bei der Berechnung der Pensionshöhe wieder die Formel 45-65-80: Wer mit 45 Versicherungsjahren im Alter von 65 Jahren in Rente geht, erhält 80 Prozent seines durchschnittlichen Monatseinkommens, was im internationalen Vergleich immer noch sehr großzügig ist. In einer Studie der OECD, welche die Höhe der Rentenleistungen für Durchschnittsverdiener in 36 Ländern vergleicht, schneidet Österreich in allen Kategorien überdurchschnittlich gut ab.
 

„Die Beiträge der Erwerbstätigen reichen bereits seit Langem nicht mehr zur Finanzierung der aktuellen Pensionen aus“, kritisiert VIG-Chefin Stadler. Die Folge: Der Rentenzuschuss wird in Österreich zu einer immer größeren Belastung für den Staatshaushalt. 2021 wird der Bund voraussichtlich 22,84 Milliarden Euro für die Pensionen zuschießen. Das entspricht mehr als 30 Prozent aller Steuereinnahmen des Bundes. „Ein stärker diversifiziertes System, das die Stärken aller drei Säulen miteinander verbindet, wäre besser“, sagt Pensionsexperte Zakostelsky. „Die Vorteile eines kollektiven, kapitalgedeckten Systems als Ergänzung zur staatlichen Pension sollten stärker genutzt werden.“ Ähnlich argumentiert Stadler: „Wir brauchen ein klares Bekenntnis der Politik zur Sinnhaftigkeit der privaten Pensionsvorsorge durch neue und nachhaltig angelegte steuerliche Anreize. Unsere Aufgabe als Versicherung ist es, den Menschen zu ermöglichen, dass sie sich auf das Brot mit Butter aus der staatlichen Pension auch noch ein paar Scheiben Extrawurst darauflegen können.“ Zudem solle das Renteneintrittsalter erhöht werden. „Die Pensionsautomatik an die steigende Lebenserwartung zu koppeln, macht vor allem gegenüber der jüngeren Generation Sinn.“

Wie es aussieht, muss sich das vorbildliche Österreich gerade selbst ein Vorbild suchen.

Text: Christian Höller

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