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Schaden & Unfall

„Wenn die Maschine fährt, darf der Mensch keine Verantwortung mehr haben”

Das Automobil verändert sich in immer kürzeren Zyklen. In Zukunft werden immer mehr Autos in Echtzeit Informationen von anderen Fahrzeugen und aus der Umgebung erhalten, eigene Daten senden, vor Gefahren warnen, Fahrfunktionen übernehmen oder den Fahrer gleich ganz ersetzen. Diese Entwicklung wirft Fragen auf, die einen gesellschaftlichen Dialog erfordern. Auf einem Symposium in Berlin hat der GDV dafür heute ein prominent besetztes Forum geschaffen.

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© GDV

Findet, dass Menschen lausig im Überwachen seien: Der ehemalige Bundesverfassungsrichter und Vorsitzender der Ethik-Kommission zum automatisierten Fahren, Prof. Udo Di Fabio, auf der GDV-Konferenz in Berlin

In Science-Fiction-Romanen sieht die Zukunft der Mobilität so aus: Robotertaxis holen den Passagier auf Bestellung vor der Tür ab und transportieren ihn auf Zuruf zum gewünschten Ziel. Während sich das Auto autonom durch den dichten Verkehr kämpft, vertreibt sich der Insasse die Zeit mit Lesen, Videos oder Telefonaten. Ein echter Komfortgewinn also.

Dass dies neben der höheren Sicherheit einer der großen Vorteile des autonomen Fahrens ist, gilt als unstrittig. Ob und wann die Vision vom fahrerlosen Fahren Realität wird, steht allerdings noch völlig in den Sternen. „Man sollte keine zu hohen Erwartungen haben“, sagt Mark Vollrath, Professor an der TU Braunschweig, auf der Konferenz des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) "Automatisiertes und vernetztes Fahren – schöne neue Welt!?" am Dienstag in Berlin. Automation habe zwar ein enormes Potenzial, schaffe aber auch neue Gefahren, so der Experte für Verkehrspsychologie.

Die technische Entwicklung vollzieht sich in Stufen

Die Hindernisse liegen vor allem auf dem Weg dahin. Denn das fahrerlose Auto kommt ja nicht urplötzlich auf die Straße, die technische Entwicklung vollzieht sich in Stufen – über teil- und hochautomatisierte Systeme. Diese können dem Fahrer zwar schrittweise mehr und mehr Aufgaben abnehmen, fordern aber immer noch seine Aufmerksamkeit, damit er in kritischen Situationen die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen kann. Ob er dazu in der Lage ist, sei jedoch kritisch zu hinterfragen, so Vollrath. „Menschen sind nicht so gebaut, dass sie die ganze Zeit aufmerksam sein können.“ Automatisiertes Fahren führe zu Langeweile, der Fahrer würde sich mit anderen Dingen beschäftigen als pausenlos den Verkehr zu kontrollieren. „Das ist wie das Warten auf einen spannenden Moment in einer langweiligen Fernsehserie“, sagt der Wissenschaftler.

Die möglichen Probleme beim Zusammenspiel von Mensch und Maschine treiben auch die Versicherer um, die sich mit ihrer Unfallforschung UDV stark auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit engagieren. „Es muss technisch sichergestellt sein, dass die jetzt vor der Einführung stehenden Automatisierungsstufen eine klare Aufgabenverteilung zwischen Fahrer und Technik gewährleisten“, betont Wolfgang Weiler, Präsident des GDV. Man werde genau beobachten, ob sich der Übergang vom assistierten Fahren zum automatisierten Fahren tatsächlich in kleinen Schritten, oder nicht viel mehr mit einem technologischen Sprung vollziehen sollte. Auch Verkehrspsychologe Vollrath hinterfragt, ob Fahrer überhaupt in Entwicklungsstufen denken.

Den Grundstein für den Einsatz von automatisierten Fahrsystemen hat die Bundesregierung mit der Reform des Straßenverkehrsgesetzes im vergangenen Jahr gelegt. „Wir haben damit das modernste Recht für automatisiertes Fahren in der Welt geschaffen“, betont Steffen Bilger (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Als Land, das das Auto erfunden habe, sei es der Anspruch, auch beim autonomen Fahren an der Spitze zu stehen, betonte er. Die Technologie berge viele Chancen: für die Verkehrssicherheit, die Wertschöpfung, aber auch die Entwicklung ländlicher Räume. Damit sich autonomes Fahren durchsetzen könne, müsse aber der Ausbau der digitalen Infrastruktur schneller vorankommen, so Bilger.

Erste automatisierte Fahrfunktionen, allerdings nur für den Einsatz auf der Autobahn

Die Autohersteller wollen indes den neuen gesetzlichen Rahmen nutzen, um rasch erste Systeme auf den Markt zu bringen. Schon im nächsten Jahr rechnet der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) mit ersten automatisierten Fahrfunktionen, allerdings nur für den Einsatz auf der Autobahn. Das erste Anwendungsbeispiel sei der Stauassistent, der einen Wagen selbstständig durch zäh fließenden Verkehr manövrieren könne, sagt Marko Gustke, Mitglied der Koordinierungsstelle Vernetztes und Automatisiertes Fahren im VDA. Ab 2022 wären die Assistenzsysteme so weit, um Autos autonom im Verkehr steuern zu können – jedoch auch nur im Einsatz auf Autobahnen. „Vom fahrerlosen Fahren in Innenstädten sind wir dann immer noch weit entfernt“, betont Gustke.

„Wenn die Maschine fährt, dann darf der Mensch keine Verantwortung mehr haben.“

Bei der Entwicklung dahin sollte es nach Vorstellung des ehemaligen Verfassungsrichter und Vorsitzender der Ethik-Kommission zum automatisierten Fahren,  Udo Di Fabio,  nicht dazu kommen, dass die Verantwortung für die Fahrzeug-Kontrolle zwischen Fahrer und Computer verteilt wird. „Wenn die Maschine fährt, dann darf der Mensch keine Verantwortung mehr haben.“ Menschen seien lausig im Überwachen, so di Fabio, der damit Vollraths Bild von der langweiligen Fernsehserie aufgriff.

Zum spannenden Thriller wird autonomes Fahren wohl erst, wenn der Fahrer nicht mehr den Verkehr oder die Technik überwachen muss. Und sich ganz nach Belieben aus der Onboard-Filmdatenbank bedienen kann. Doch das ist im Moment noch Science Fiction.

Von Karsten Röbisch