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Konjunktur & Märkte

Was ein Gas-Lieferstopp für die Wirtschaft und die Assekuranz bedeuten würde

Europa steht vor der schwierigen Aufgabe, Gas möglicherweise rationieren zu müssen. Das könnte in der Industrie zu Betriebsunterbrechungen führen. Versicherungsschutz gibt es für diesen Fall aber nicht.

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© Ant Rozetsky / Unsplash

Die Schwerindustrie zählt zu den größten Gasverbrauchern.

Wenn es hart auf hart kommt, dann steht Europa im Winter ein Verteilungskampf um Gas bevor. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und den darauf folgenden Sanktionen des Westens nutzt Russlands Präsident Wladimir Putin Gaslieferungen, um Gegendruck aufzubauen. Die EU stellt sich auf einen möglichen Lieferstopp ein und hat einen Notfallplan vorgelegt: Er fordert die Mitgliedsländer zum Energiesparen auf – notfalls auch mit Zwangsmaßnahmen. 

Die EU-Länder bereiten sich ebenfalls auf den Ernstfall vor – so auch Deutschland. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte schon Ende März die erste Stufe des Notfallplans Gas ausgerufen, im Juni folgte dann Stufe zwei. Sie wird in Kraft gesetzt, wenn eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vorliegt, die zu einer „erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage" führt. Noch aber ist der Markt in der Lage, die Störung zu bewältigen, ohne dass der Staat eingreifen muss. 

Staat kann Gas rationieren

Das ändert sich mit Ausrufen der dritten und letzten Stufe: der Notfallstufe. Dann greift der Staat ein und verordnet zusätzlich „nicht-marktbasierte Maßnahmen“, um die Gasversorgung in Deutschland so weit wie möglich sicherzustellen. Das bedeutet: Gas wird rationiert, und davon sind grundsätzlich alle betroffen: Kommunen, Privathaushalte, Wohnungsgesellschaften oder Unternehmen. Noch ist unklar, ob bestimmte Gruppen priorisiert werden. Der Chef der Bundesnetzagentur, die die Maßnahmen durchsetzen muss, hat aber bereits durchblicken lassen, dass es auch in der Industrie zu Abschaltungen kommen könnte. 

Die Unternehmen müssen sich auf dieses Szenario einstellen – und Vorkehrungen treffen. Energie einsparen und – so es geht – auf alternative Energieträger umstellen. Andernfalls drohen Einbußen in der Produktion: Fließbänder könnten stillstehen, Schmelzöfen erkalten, Chemieanlagen verstummen, Maschinen weder stanzen noch walzen. Selbst Firmen, die kein Gas benötigen, könnten durch Produktionsausfälle bei Zulieferern indirekt betroffen sein. 

Versicherungsleistung setzt Sachschaden voraus

Versichert sind solche Produktionsausfälle nicht. Zwar können Betriebsunterbrechungen gesondert abgesichert werden. Eine Entschädigung setzt aber immer einen Sachschaden voraus. Heißt: Kommt die Produktion aufgrund eines Feuers in einer Fabrik zum Erliegen, sind daraus resultierende Schäden über eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgedeckt. Produktionseinbußen durch eine staatlich angeordnete und im Voraus geplante Rationierung von Rohstoffen hingegen nicht. 

Diese Lesart wird durch ein aktuelles Gutachten bestätigt, das der GDV in Auftrag gegeben hat. Die Experten kommen zu dem Ergebnis, dass es sich bei Ausrufen der Notfallstufe um eine „planmäßige Abschaltung“ handelt und der entsprechende Risikoausschluss in den Musterklauseln greift. Selbst wenn in einer Klausel das Vorliegen eines Sachschadens nicht konkret vereinbart ist – was bei älteren Policen der Fall sein kann –, greift letztlich der Risikoausschluss „planmäßige Abschaltung“, so die Einschätzung der Gutachter.  

Ratingagentur Fitch: Versicherungssektor nicht betroffen 

Die Ratingagentur Fitch kommt in einer aktuellen Analyse zum gleichen Urteil: Der Versicherungssektor wäre demnach nicht von Betriebsunterbrechungsschäden betroffen, die aus einem Stopp russischer Gaslieferungen nach Europa resultieren. Die sogenannten Business-Interruption-Policen deckten nur Verluste ab, die durch physische Schäden an Geschäftsräumen oder Produktionsanlagen entstehen. Auch die Chancen der Firmen auf Ansprüche aus politischen Risikoversicherungen seien gering.  

Für Versicherer sind solche Ausschlussklauseln wichtig, um sich vor vielen gleichzeitigen Ansprüchen zu schützen, die sie selbst überfordern würden. Das ist immer bei sogenannten Kumulrisiken der Fall. Damit sind Gefahren gemeint, die in relativ kurzer Zeit sehr viele Schäden anrichten können, wie beispielsweise ein Krieg, eine Pandemie oder eine über Monate im Voraus geplante Unterbrechung der Strom- oder Gasversorgung. Denn wenn viele Unternehmen gleichzeitig Schäden geltend machen, funktioniert das Prinzip der Risikostreuung nicht mehr. Versicherungen sind dafür gedacht, unvorhersehbare zufällige Ereignisse abzudecken.

Auf Versicherer könnten indirekte Schäden zukommen 

Indirekt könnten die Versicherer gleichwohl die Auswirkungen eines Gas-Lieferstopps zu spüren bekommen, wie die Ratingagentur Fitch betont. Einsparungen bei der Heizenergie könnten beispielsweise dazu führen, dass im Winter mehr Wasserrohre in Häusern bersten – ein klassischer Fall für die Gebäudeversicherung. Denkbar ist auch, dass vorübergehende Produktionsstopps in den Betrieben in der Folge zu mehr Maschinenschäden führen, für die die Assekuranz einsteht.  

Text: Karsten Röbisch

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