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Schaden & Unfall

Du lügst!

Seit es Versicherungen gibt, versuchen Kriminelle, sich deren Leistungen zu ergaunern. Die Digitalisierung bringt neue Methoden des Versicherungsbetrugs hervor – aber auch für dessen Bekämpfung. Mit Textforensik, künstlicher Intelligenz und Psychologie jagt die Assekuranz die Täter.

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© MaryAnn Shmueli/Getty Images


Dieses Jahr, 2018, ist wieder so ein verflixtes. Wegen der Fußball-Weltmeisterschaft. Vor einem solchen sportlichen Großereignis steigt regelmäßig die Zahl der gemeldeten Versicherungsschäden – vor allem der Anteil sogenannter nicht plausibler Schäden. So gehen in Deutschland in einem WM-Jahr deutlich mehr Fernseher kaputt als üblicherweise. Zufall? Eher nicht. Einer Auswertung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zufolge ist etwa jeder vierte Schaden an TV-Geräten unplausibel.

Zwar ist das Gros der Versicherten ehrlich. Doch bei fast zehn Prozent aller Versicherungsfälle kommen den Experten Zweifel, und sie prüfen, ob nicht Betrüger am Werk sind.

Die Täter stammen aus sämtlichen sozialen Schichten und machen vor keiner Sparte halt. Die Bandbreite reicht von Smartphones, die vor einem Modellwechsel vermehrt kaputtgehen, über Safes, die wenige Tage nach Versicherungsbeginn aufgebrochen und ausgeräumt werden, bis zu verschwundenen Lkw-Ladungen, die in Wahrheit nie existiert haben. Auf bis zu fünf Milliarden Euro beziffert Roland Stoffels, Vorsitzender der Geschäftsführung Generali Deutschland Schadenmanagement GmbH und Vorsitzender der GDV-Kommission Kriminalitätsbekämpfung, den jährlichen Schaden, der den Versicherern durch solche kriminellen Machenschaften entsteht. “Geld, das die mehrheitlich redlichen Kunden über ihre Beiträge mitbezahlen”, so Stoffels.

Kriminelle Clans und Rockercliquen

Unter den Tätern sind Gelegenheitsbetrüger, die den Blechschaden nach einem Auffahrunfall gegenüber dem Versicherer größer machen, als er tatsächlich ist. Immer häufiger haben es die Versicherer aber auch mit organisierter Kriminalität zu tun. Die Entdeckungswahrscheinlichkeit ist gering und das Strafmaß meist niedrig. Das lockt kriminelle Clans und Rockercliquen an, ebenso Banden, die mit digitaler Technik gezielt Schäden vortäuschen oder deren Ausmaß manipulieren – um anschließend abzukassieren.

Besonders beliebt sind manipulierte digitale Bilddateien. Ein paar Mausklicks, und schon ziert ein dicker Kratzer die Fahrertür des teuren SUV. „Mit bloßem Auge ist kaum zu erkennen, ob das Bild manipuliert wurde“, sagt Stoffels.

„Manche Betrüger testen ganz gezielt die Erkennungsmechanismen von Online- und Direktversicherern“, ergänzt Jens Ringel, Geschäftsführer der Versicherungsforen Leipzig. In der Anonymität des Internets fühlten sie sich weitgehend sicher.
Doch das könnte sich als ein Trugschluss erweisen.

Versicherer schlagen digital zurück

Denn viele Versicherer haben inzwischen technisch aufgerüstet. Mithilfe von Algorithmen scannen sie Bild- und Textdateien, um verdächtige Muster zu erkennen und Widersprüche aufzudecken. Das hilft nicht nur im Kampf gegen die Betrüger, es macht die Unternehmen auch schneller und kundenfreundlicher. So wickelt etwa die Allianz schon heute einen sehr großen Teil der Glasschäden vollautomatisch ab. Das spart Zeit und senkt Kosten. Und es schafft personelle Kapazitäten für ganz neue Herausforderungen.

„Mit der rasant fortschreitenden Digitalisierung haben wir uns auch auf veränderte Vorgehensweisen beim Versicherungsbetrug eingestellt“, sagt Rüdiger Hackhausen, Leiter des Fachbereichs Schaden bei der Allianz. So häuften sich in letzter Zeit etwa die Fälle von Identitätsmissbrauch: Hier nutzen die Täter die Daten Dritter und rechnen unter deren Namen fingierte Schäden ab.

Aufdecken kann man diese Art von Versicherungsbetrug mittels Textforensik, einer Art automatisierter Spurensuche. Eine Software vergleicht eine eingereichte Schadenbeschreibung mit anderen Texten. „Handelt es sich um ein und denselben Autor, schlägt ein solches Programm Alarm“, berichtet Christian Winter vom Fraunhofer-Institut in Darmstadt. So ließen sich etwa Methoden organisierter Kriminalität aufdecken, die bundesweit mit gleichlautenden Schadenbeschreibungen Geld kassieren wollen. Außerdem wurde die modellbasierte Ziffernanalyse entwickelt. Sie stellt ungewöhnliche Häufungen bestimmter Zahlen fest und lässt Rückschlüsse auf systematisch überhöhte Schadensummen zu.

Mit Software gegen Betrüger

Der Markt für Betrugserkennungssoftware wächst. Aber nicht alles, was technisch möglich ist, kann auch ohne Weiteres in der Assekuranz eingesetzt werden. „Neben den rechtlichen Voraussetzungen bedarf es sowohl einer gesellschaftlichen als auch einer wissenschaftlichen Akzeptanz der Methoden“, sagt Generali-Manager Stoffels. Speziell der Datenschutz sei in Deutschland ein besonders sensibles Thema.
Gleichwohl erklärte der Bundesgerichtshof im Mai Filmaufnahmen von Dashcams als Beweismittel für zulässig – wenn sie datenschutzkonform verwendet werden. Zwar werden die Geräte Verkehrsteilnehmer aus Sicht der Versicherer nicht besser schützen können. Doch lässt sich ein Unfallhergang mithilfe so gewonnener Bilddaten oft besser rekonstruieren. Auch verspricht sich die Assekuranz dadurch Hilfe bei der Aufklärung absichtlich verursachter Verkehrsunfälle.

© Giorgio Majno/Getty Images


Auf Software allein werden sich Unternehmen bei der Betrugsbekämpfung aber auch künftig nicht verlassen können. „Die Expertise unserer Mitarbeiter wird auch weiterhin ein extrem wichtiger und unverzichtbarer Faktor bei der Erkennung und Aufklärung betrugsrelevanter Konstellationen sein“, sagt Allianz-Manager Hackhausen. Kein noch so elaboriertes Programm kann die Urteilskraft eines erfahrenen Spezialisten ersetzen. Und auch wenn künstliche Intelligenz eines Tages entlarvende Gesten oder verräterisches Verhalten erkennen könnte: Ohne eine fachlich fundierte Interpretation und das menschliche Wissen über Motive und Vorgehensweisen der Täter wird es auch dann nicht gehen.

Mensch schlägt Maschine

Dass Rechenkünste Intuition und Menschenkenntnis nicht ersetzen können, zeigt das Beispiel der Stimmanalyse: Ob ein Mensch lügt oder nicht, kann eine Software kaum erkennen. Schließlich gibt es eher emotionale und eher rationale Charaktere – für einen Computer ein echtes Problem. Hier wird der Mensch der Maschine noch sehr lange überlegen sein.

Psychologisches Wissen hilft

Viele Versicherer investieren daher beim Kampf gegen die Betrüger nicht nur in Technik, sondern auch in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter. Über spezielle Täter zu enttarnen. Zwar wird dabei nicht aus jedem ein Dr. Cal Lightman. Dem Forensiker aus der beliebten US-Serie „Lie to Me“ gelingt es stets, Menschen anhand ihrer Mimik ad hoc zu durchschauen. Doch in jedem Fall hilft es Beschäftigten in der Schadenannahme und Schadenregulierern im Außendienst, verräterisches Verhalten von Tätern künftig noch besser zu erkennen.

Bis in vier Jahren die nächste Fußball-WM in Katar stattfindet, wird sich die Betrugsabwehr der Assekuranz jedenfalls noch ein ganzes Stück weiterentwickelt haben. Vielleicht gehen 2022 dann ja auch weniger Fernseher kaputt.

Text: Sara Friedrich

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