Die Ernte im Blick
Lautlos umkreisen sie die Erde, machen Bilder von Feldern und messen Wetterveränderungen: Satelliten. Die Daten können Ernteversicherern helfen.
Es ist der 3. April 2014, 23.02 Uhr mitteleuropäischer Zeit, am europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana. Die Europäische Weltraumfahrtagentur ESA schickt Sentinel-1A 700 Kilometer hoch in den Orbit. Zentimetergenau kann sein Radar Höhenunterschiede erfassen. Mit Sentinel-1A hat die ESA ihren ersten Satelliten einer ganzen Flotte ins All geschossen. Bis 2016 sollen optische und meteorologische Satelliten folgen. Deren Radarbilder werden für jedermann kostenlos frei zugänglich sein. „In der Versicherungsbranche wird daher zunehmend über Anwendungsmöglichkeiten der Fernerkundungsdaten nachgedacht“, sagt Oliver Hauner, Leiter Sachversicherung des GDV.
Schäden leichter abschätzen
Mithilfe von Satellitenbildern lassen sich in bestimmten Fällen Schäden schneller ermitteln und genauer berechnen. Ein Gutachter müsste etwa nach einem Hagelsturm nicht mehr alle Schäden vor Ort schätzen, beispielsweise indem er mit dem Bauern das beschädigte Feld abschreitet, um den genauen Schaden zu ermitteln. Er könnte vorab die Daten aus den Infrarotaufnahmen auswerten und anschließend die geschädigten Abschnitte der Anbauflächen gezielt untersuchen. Die Infrarotkameras erkennen lebende Pflanzen am Grün des Chlorophylls und erlauben so eine ungefähre Einschätzung der geschädigten Biomasse.
Bereits 2009 hatte die Agrarversicherung Vereinigte Hagel mit Sitz in Gießen in den damaligen Geoinformationsdienstleister RapidEye investiert, der heute nach der Übernahme durch ein kanadisches Unternehmen unter BlackBridge firmiert. Fünf Geosatelliten helfen hier bei der Einschätzung von Umweltschäden. Allerdings: Einfach ist die Nutzung dieser speziellen Satellitenpower nicht. Erst müssen die Daten mit aufwendigen Programmen bearbeitet werden, damit sich überhaupt Bilder erkennen lassen. Zudem dringen die optischen Kameras der Geosatelliten nicht durch Wolken. Und schließlich ist zumindest in Deutschland die Nachfrage nach Mehrgefahrenversicherungen gegen Ernteausfälle noch immer verhalten. Denn im Katastrophenfall können die Landwirte meist mit Hilfe des Staates rechnen. Fördermittel für eine sehr weitreichende – allerdings auch verhältnismäßig teure – Ernteversicherung, die in vielen europäischen Ländern selbstverständlich sind, gibt es hierzulande nicht.
Potenzial Schwellenländer
Ein lohnendes Feld für die neuen Satelliten könnten Schwellenländer bieten. Gerade in Regionen ohne ein Netzwerk von Gutachtern vor Ort lassen sich die Folgen von Naturkatastrophen nur schwer messen. Bislang können deshalb oft nur sogenannte parametrisierte Versicherungen angeboten werden. Aufgrund regionaler Erfahrungsdaten legt der Versicherer dabei einen Schwellenwert fest. Steigen die Temperaturen etwa in den ersten 30 Tagen nach der Roggen-Aussaat auf mehr als 30 Grad und bleibt gleichzeitig der Regen aus, tritt automatisch der Versicherungsfall ein – selbst wenn das Feld weiter gedeiht.
Mithilfe der Radarbilder des ESA-Sentinel könnten sich solche Risiken und Schäden besser abschätzen lassen. Der Vorteil der von der ESA eingesetzten Radartechnik im Gegensatz zu den optischen Kameras der Geosatelliten von BlackBridge: Die Radarwellen erzeugen auch bei Nacht und Nebel Bilder. Auch erste Versicherer in Deutschland wollen die Daten nutzen. Mithilfe der Sentinel-Aufnahmen soll eine spezielle Software Biomasse-Karten von versicherten Flächen erstellen. Die Karten werden permanent neu kalibriert und können mit Erfahrungswerten unterfüttert werden. Im Katastrophenfall soll die Technik die voraussichtliche Schädigung umgehend sichtbar machen.
In den USA ist die Erntebeobachtung aus dem All längst Usus. Doch die reinen Satellitendaten können auch in die Irre führen. Bei der großen Dürre in den USA 2012 etwa nahm der Mais massiv Schaden. Doch die Satelliten lieferten eher unauffällige Daten. Der Mais wuchs offenbar nahezu normal. Was der Satellit nicht sah: Die größte Hitze war gerade in dem kleinen Zeitfenster der Befruchtung. Wegen der hohen Temperaturen flogen die Pollen nicht. Der Mais wuchs – ohne Kolben auszubilden.
„Die Analyse von Satellitendaten ist enorm komplex“, resümiert Alexa Mayer-Bosse, Business Development Manager bei der Munich Re. Um aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen, muss man eine Vielzahl von Parametern kombinieren, die nicht alle satellitenbasiert ermittelt werden können. Wie groß ist der Biomasseaufwuchs? Wie stressresistent sind die Samen? Wie viel Feuchtigkeit speichert der Boden und wie sind die Wetterbedingungen während der Vegetationszeit? Mayer-Bosse dazu: „Bis wir all diese Werte richtig für die Ernteerfassung interpretieren können, ist es noch ein weiter, aber vielversprechender Weg.“
Text: Anja Dilk
Bild: Nasa