In Ergänzung zu den jahrzehntelangen staatlichen deutschen Entschädigungsprogrammen unterzeichnen die USA und Deutschland im Jahr 2000 ein Abkommen über eine abschließende Entschädigung von Opfern des NS-Regimes. Die deutschen Versicherer beteiligen sich daran durch Stiftungsbeiträge von mehr als 281 Mio. Euro und Kooperation mit dem weltweit angelegten ICHEIC-Verfahren.
bis 1945
DIE AUSPLÜNDERUNG: Von 1933 bis 1945 wurde auf beispiellose Weise jüdischer Besitz geraubt und geplündert. Auch Versicherungspolicen wurden konfisziert. Nach Kriegsende erkannte Deutschland seine Verantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes an und leistet Entschädigung – bis zum heutigen Tag. Im Jahr 1933 lebten schätzungsweise 550.000 Bürger jüdischen Glaubens im Deutschen Reich. Sie wurden in vielen Bereichen enteignet, auch die etwa 250.000 von ihnen, denen bis 1939 noch die Flucht gelang. Zu den konfiszierten Vermögensteilen gehörten auch Versicherungspolicen. Die Leistungen daraus mussten entweder direkt an den NS-Staat abgeführt oder auf Sperrkonten hinterlegt werden, über die der NS-Staat verfügen konnte.
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ab 1952
DIE ENTSCHÄDIGUNGEN: Im Luxemburger Abkommen von 1952 verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland zu Entschädigungsleistungen an den Staat Israel. Mehrere Gesetze (insbesondere das „Bundesentschädigungsgesetz“, BEG) regeln seit den 1950er-Jahren auch die individuelle Entschädigung NS-Verfolgter für erlittene Schäden und entzogene Vermögenswerte, einschließlich enteigneter Versicherungspolicen. Die in diesem Rahmen geleistete Gesamtentschädigungssumme für Versicherungspolicen kann nicht ermittelt werden, da die individuellen Entschädigungszahlungen in der Regel in einer Gesamtleistung für verschiedene Verluste unterschiedlicher Vermögenswerte (d.h. Schäden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen) zusammen erfolgten.
Im Bild zu sehen: 1960 treffen sich David Ben-Gurion, erster Ministerpräsident Israels, und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer im New Yorker Hotel Waldorf-Astoria.
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1998-2007
DAS ABKOMMEN UND DAS ICHEIC-VERFAHREN: Ein im Jahr 2000 zwischen den USA und Deutschland geschlossenes Abkommen sichert allen deutschen Unternehmen Rechtssicherheit gegen Entschädigungsklagen in den USA zu. Im Gegenzug leistet die neu gegründete deutsche Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) zusätzliche Entschädigungen für Zwangsarbeiter, Bankkonten und Versicherungspolicen. Zur weiteren Ausgestaltung und Umsetzung der Vereinbarungen dieses Abkommens schließen die weltweit agierende Internationale Kommission ICHEIC, die Stiftung EVZ und der Verband der deutschen Versicherungswirtschaft GDV 2002 einen Vertrag über ein ergänzendes Verfahren zur Entschädigung von deutschen Policen jüdischer Versicherungsnehmer, die von den früheren staatlichen Entschädigungsgesetzten noch nicht erfasst waren. Das dt.-amerik. Abkommen sowie das ICHEIC-Verfahren waren als abschließende Regelungen zur Entschädigung von Holcoaust-Opfern vereinbart. Das ICHEIC-Verfahren wurde2007 -mit Zustimmung aller Beteiligten aus den USA, Israel sowie den jüdischen Entschädigungsorganisationen für abgeschlossen erklärt.
Im Bild zu sehen: US-Unterhändler Stuart Eizenstat, Bundeskanzler Gerhard Schröder und der deutsche Verhandlungsführer Otto Graf Lambsdorff nach Abschluss des Stiftungsabkommens.
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seit 2007
FREIWILLIGE LEISTUNGEN:
Die deutschen Versicherungsunternehmen prüfen auch nach Abschluss des ICHEIC-Verfahrens auf freiwilliger Basis Anfragen nach entzogenen Lebensversicherungen und honorieren berechtigte Ansprüche weiter.
Rechtssicherheit dank Abkommen
Der Fall des Eisernen Vorhangs, die Wiedervereinigung Deutschlands und das Ende des Kommunismus lösten neue Debatten um Entschädigungen an NS-Opfer aus – vor allem in Mittel- und Osteuropa. Dabei ging es zunächst um die Entschädigung von Zwangsarbeitern und offene Konten insbesondere bei Schweizer Banken. Aber auch die Frage nach nicht ausbezahlten Policen jüdischer Versicherungsnehmer wurde wieder aktuell. Im Jahr 2000 schlossen die USA und Deutschland zu all diesen Themen ein umfassendes Abkommen, das als abschließende Regelung zur Entschädigung von Holocaust-Opfern konzipiert war. Es gewährt allen deutschen Unternehmen in den USA Rechtssicherheit gegen Entschädigungsklagen hinsichtlich Ansprüchen aus der Holocaust-Zeit und verpflichtet die in Deutschland neu gegründete Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gut fünf Mrd. Euro zusätzlich an Entschädigung zu leisten.
Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
Als Vereinbarung aus dem Abkommen mit den USA wurde im Jahr 2000 die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) gegründet. Das Gründungskapital von 5,1 Mrd. Euro brachten je zur Hälfte der deutsche Staat und die deutsche Wirtschaft auf. Die Versicherer beteiligten sich daran mit mehr als 281 Mio. Euro. Vorrangiger Stiftungszweck: Die Entschädigung der Zwangsarbeiter des NS-Regimes, Bankkonten jüdischer Kunden sowie die Entschädigung von bislang unentschädigt gebliebenen Versicherungspolicen jüdischer Versicherungsnehmer. Diese Entschädigungen der EVZ wurden im Jahr 2007 abgeschlossen – unter Zustimmung der US-Regierung, der israelischen Regierung und zahlreicher jüdischer Organisationen. Bis heute unterstützt die EVZ aus ihrem Stiftungskapital Projekte zur Erinnerung an die Opfer des NS-Unrechts, für Menschenrechte und Völkerverständigung.
ICHEIC und die Versicherungspolicen
Die ICHEIC (International Commission on Holocaust Era Insurance Claims) wurde 1998 von US-Versicherungsaufsichtsbehörden, dem Staat Israel, jüdischen Organisationen und europäischen Versicherungsunternehmen gegründet. Die Leitung übernahm der ehemalige US-Außenminister Lawrence Eagleburger. Ziel der ICHEIC: Ein weltweites Verfahren zur Identifizierung und Entschädigung der bislang noch nicht ausgezahlten Versicherungspolicen von NS-Opfern. 2002 vereinbarten der GDV, die Stiftung EVZ und die ICHEIC im sogenannten „Trilateralen Abkommen“ eine Kooperation zur Entschädigung jener Policen jüdischer Versicherungsnehmer aus Deutschland, die nicht bereits in den Jahrzehnten zuvor auf der Grundlage deutscher Gesetze entschädigt worden waren. Das Trilaterale Abkommen enthielt detaillierte Vereinbarungen über das von den Versicherern einzuhaltende Antragsbearbeitungsverfahren, Erbfolgeregeln, Beweislastkriterien, ein von der BaFin durchgeführtes zweistufiges Auditverfahren in den Unternehmen, die Publikation von Namenslisten möglicher Policeninhaber, eine Abgleichverfahren zwischen öffentlichen und Unternehmensarchiven, sowie ein detailliertes freiwilliges Schiedsgerichtsverfahren zur Überprüfung von individuellen Unternehmensentscheidungen durch unabhängige Richter in London. Bis 2007 zahlten deutsche Unternehmen im Rahmen von EVZ und ICHEIC ca. 281 Mio. Euro, weltweit flossen 306 Mio. Dollar für die Entschädigung von unbezahlten und noch nicht entschädigten Versicherungspolicen an Holocaust-Überlebende und ihre Erben.
Das ICHEIC-Projekt - ein Überblick in Zahlen
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ca. 300 Mio. US-Dollar
haben deutsche Versicherungsunternehmen zum ICHEIC-Projekt beigetragen. Davon wurden etwa 102 Millionen Dollar an jüdische Anspruchsberechtigte ausgezahlt. Etwa 198 Millionen Dollar wurden für gemeinnützige Zwecke an jüdische Organisationen und Institutionen ausgezahlt.
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132.000
Anträge auf Entschädigung für entzogene Lebensversicherungen gingen von 1998 bis 2007 bei der ICHEIC ein, wovon ca. 91.000 als berechtigte Anträge angenommen wurden.
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19.421
der rund 91.000 angenommenen Anträge bezogen sich auf den deutschen Versicherungsmarkt, der Rest auf andere Länder in denen das ICHEIC-Verfahren ebenfalls durchgeführt wurde.
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86.247
individuelle Personennamen waren in den 19.421 Anträgen enthalten und wurden im Zuge des ICHEIC-Verfahrens auf ihre Berechtigung für Entschädigsleistungen hin geprüft.
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8.664
Personen aus den 86.247 überprüften Personennamen erhielten eine Entschädigung für bisher nicht entschädigte Versicherungspolicen; für die übrigen Personen konnten entweder keine Policenunterlagen ermittelt werden oder die gefunden Policen waren bereits zuvor durch staatliche deutsche Verfahren entschädigt worden.
Die Anzahl von Versicherungspolicen jüdischer Versicherungsnehmer kann nicht ermittelt werden, da die Unternehmensunterlagen – soweit nach Kriegseinwirkungen und dem Ablauf gesetzlicher Aufbewahrungsfristen noch vorhanden – grundsätzlich keinen Hinweis auf die Religionszugehörigkeit der Versicherungsnehmer enthalten.
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