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Klima

DWD-Klimaexperte Andreas Becker: „Wir brauchen Prävention“

Die Flutkatastrophe vom Juli 2021 entstammt einer ähnlichen Wetterlage wie die Elbeflut 2002, sagt Klimaexperte Andreas Becker. Ihre furchtbaren Auswirkungen sind indes auch menschengemacht.

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© Kubik/GDV

Totale Zerstörung: Die Juli-Flutkatastrophe richtete in großen Teilen Deutschlands enorme Verwüstungen an. 

Herr Becker, wie kommt es im Juli 2021 zur katastrophalen Überschwemmung, vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz?
Andreas Becker: Ein Höhentief verlagert sich am Dienstag, dem 13. Juli, von Frankreich zu den Seealpen. Dadurch dreht sich auf seiner Nordseite die Höhenströmung auf Südost. Begleitet wird es von einem Bodentief, das so weit östlicher gelegen ist, dass unten kalte Luft von Nordwest nach Südost strömt. Diese Gegenstromlage hebt feuchtwarme Luftmassen großflächig an. Durch zusätzliche Hebung in den Mittelgebirgen Westerwald, Sauerland und Eifel regnet es dort großflächig, lange und viel. Ein ergiebiger Dauerregen vom 12. bis 15. Juli, am stärksten am 14. Juli auf einer großen Fläche von der Eifel über das Rheinland und Ruhrgebiet bis hin nach Südwestfalen.


Kennen wir solche speziellen Wetterlagen bereits?
Becker:
Ja, das Tief, das zur Elbeflut 2002 führt, ist vergleichbar. Eine ähnliche Wetterlage mit großräumigem Dauerregen, nur 800 Kilometer weiter östlich gelegen. Doch die Ausdehnung des Tiefs Bernd ist 2021 deutlich größer, die Auswirkungen sind schlimmer. Wenn im Sommer solche Tiefdruckgebiete über uns in Mitteleuropa liegen, dann kommt es zu Katastrophen.


Warum sind die Auswirkungen 2021 so katastrophal?
Becker:
Einer der Gründe ist der vollgesogene Boden. Es regnet bereits im Mai und Juni viel. Das Wasser kann vor allem in der Eifel nicht mehr versickern. Im Südwesten Nordrhein-Westfalens ist der Bodenwasserspeicher zwar größer. Doch wenn so viel Wasser kommt, dann kann das nicht mehr aufgenommen werden.
Ein zweiter Aspekt ist die extreme Dürre 2018, die lange Trockenheit der Jahre danach. Viele Bäume in den Höhenzügen sind krank oder abgestorben. Sie können das Wasser nicht aufhalten. Die Flut- und Schlammwelle ergießt sich nahezu ungehindert bis ins Ahrtal. Doch wir müssen noch weiter verstehen
lernen, was da im Detail passiert ist.

„Heute wollen wir mit Blick aufs Wasser wohnen. Das ist schön, aber es birgt auch ein Risiko.“


Wie viel Regen fällt in den Julitagen 2021?
Becker:
Sehr hohe Niederschlagsmengen von 100, teilweise über 150 Liter pro Quadratmeter. Das sind für die Regionen neue Rekorde, für Deutschland allerdings nicht. Diese Wassermassen stauen sich zu einer ungeheuren Flutwelle auf. Da es vielerorts die Messpegel mitreißt, können wir ihre Höhe nur schätzen. Sie wird im Ahrtal zum Beispiel auf bis zu zehn Meter geschätzt.


Welche Rolle spielen Katastrophenwarnungen?
Becker:
Einer Warnung vor einer bis zu zehn Meter hohen Flutwelle hätte wohl niemand geglaubt, weil sie schlichtweg nicht vorstellbar ist. Der Deutsche Wetterdienst hat ausreichend vor Starkregen und Überschwemmung gewarnt, das wurde uns auch vielfach bestätigt. Dennoch verbessern wir weiter unser Warnsystem. Starkregen sind ohnehin ein besonderes Warnproblem, weil sie oft so kleinräumig sind und damit schwer vorhersagbar ist, wo genau sie herunterfallen. Und die bittere Erkenntnis dieser Katastrophe ist: Ja, Warnungen können helfen, Menschen aus Lebensgefahr zu bringen. Warnungen schaffen es nicht, Werte zu retten. Dafür brauchen wir Prävention.


Sie haben gemeinsam mit dem GDV Starkregen und ihre Schäden in Deutschland erstmals erforscht. Wie ordnen Sie diese Juli-Sturzflut ein?
Becker:
Wir erforschen ereignisbezogen: Welche Menge Regen kommt in welcher Zeit herunter? Und: Wie sind die lokalen Faktoren, also auf welche Einwohnerdichte, auf welchen Grad der Versiegelung trifft der Regen? Diese lokalen Faktoren sind wesentlich, damit sich daraus die richtige Vorsorge ableiten lässt. Starkregen werden häufiger und intensiver. Viele städtische Kanalisationssysteme sind darauf einfach noch nicht eingestellt.

Naturgefahren

Hochwasserkatastrophe: Versicherer zahlen bereits über drei Milliarden Euro

„An unsere Kunden wurden bereits über drei Milliarden Euro ausgezahlt, um die Schäden an Hausrat, Wohngebäuden, Betrieben und Fahrzeugen zu beheben“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, in Berlin.

Alle Schäden – der GDV rechnet derzeit mit versicherten Gesamtschäden von 8,2 Milliarden Euro – können zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht beglichen sein. “Die Versicherer zahlen nicht pauschal eine Summe aus, sie bezahlen ganz konkret den Wiederaufbau eines Gebäudes“, sagte Asmussen. Das geschehe so zügig wie möglich. „Aber bis alle stark geschädigten Gebäude wieder aufgebaut sind, dauert es noch. Und erst dann sind alle Mittel geflossen”, sagte Asmussen. 

Allein 1,7 Milliarden Euro für Hochwasser-Betroffene in Nordrhein-Westfalen

Asmussen machte einmal mehr deutlich, dass sich die Betroffenen darauf verlassen könnten, dass die Versicherer bestehende Ansprüche erfüllen: „Glauben Sie nicht den Gerüchten in den sozialen Medien. Die Versicherungswirtschaft nimmt ihre Verpflichtungen sehr ernst.“  

Von den bislang ausgezahlten Leistungen erhielten Betroffene in Nordrhein-Westfalen über 1,7 Milliarden Euro. Auf Versicherungskunden in Rheinland-Pfalz entfielen rund 950 Millionen Euro, während die übrigen 350 Millionen Euro vor allem in Bayern und Sachsen ausgezahlt wurden.

Die Zahlen basieren auf der aktualisierten GDV-Statistik zum Stand der Schadenregulierung nach dem verheerenden Tiefdruckgebiet „Bernd“, das Mitte Juli vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz große Schäden angerichtet hat. Bei der bislang folgenschwersten Naturkatastrophe in Deutschland starben mehr als 180 Menschen.

„Hätten uns beim Wiederaufbau klare Präventionsvorgaben gewünscht“

Laut Asmussen hat die Versicherungswirtschaft in den vergangenen Wochen und Monaten große Anstrengungen unternommen, um den Wiederaufbau der zerstörten Landstriche voranzutreiben und die Betroffenen zu unterstützen. „Es ist verständlich, dass die Menschen so schnell wie möglich wieder in ihre Häuser und in ein normales Leben zurückkehren wollen“, sagte der GDV-Hauptgeschäftsführer.

„Von der öffentlichen Hand hätten wir uns aber klare Aussagen gewünscht, an welche behördlichen Präventionsauflagen der Wiederaufbau geknüpft ist“, so Asmussen. „Das betrifft vor allem das Ahrtal. Stattdessen ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dass man mit den von der Landesregierung neu berechneten Gefahrenkarten für künftige Katastrophen hinreichend vorgesorgt hat. Das ist eine verpasste Chance für eine bessere Hochwasservorsorge.“

GDV-Vorschlag: Wohn­ge­bäu­de­ver­si­che­rung künf­tig nur noch mit Ele­men­tar­schutz-Bau­stein     

Als Folge der Flutkatastrophe haben die deutschen Versicherer konkrete Vorschläge für ein Gesamtkonzept zur Klimafolgenanpassung vorgelegt. Damit einher geht auch ein neues System für den Elementarversicherungsschutz. Ziel ist eine Absicherung aller privaten Wohngebäude gegen Extremwetterrisiken. Im Kern sehen die GDV-Vorschläge vor, dass es künftig nur noch Wohngebäudeversicherungen geben soll, die auch sogenannte Elementargefahren, wie Hochwasser und Starkregen, abdecken. Zugleich fordert die Versicherungswirtschaft ein nachhaltiges Umsteuern der öffentlichen Hand, etwa durch klare Bauverbote in hochwassergefährdeten Gebieten.


Wie viel Klimawandel steckt in dieser Flut?
Becker:
In einer Studie haben führende Klimaforschende des World Weather Attribution Project, darunter auch Fachleute des Deutschen Wetterdienstes, den Zusammenhang mit der Erderwärmung untersucht. Sie berechnen die Wetterlage in einem Szenario ohne Klimawandel und in einem mit Klimawandel, mit der aktuellen CO2-Konzentration in der Luft. Das Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit solcher Unwetter erhöht sich mit dem Klimawandel um das 1,2- bis 9-Fache. Doch wichtig sind auch die lokalen Verhältnisse. Diese bestimmen das Ausmaß der Schäden.


Sie sprechen von stärkerer Prävention. Wie kann diese aussehen?
Becker:
Es gibt intelligente Ansätze wie die Schwammstadt, die Regenwasser oberirdisch auffängt und leitet. Bei Starkregen ist schon viel gewonnen, wenn Sie den Abfluss nur eine Stunde lang aufhalten. Bei Dauerregen haben Rückhalteflächen ihre Grenzen. Da muss das Risiko kartiert sein. Und dann braucht es die Entscheidung, in Hochrisikogebieten nicht wieder aufzubauen und gar nicht mehr zu bauen. Die Versicherungswirtschaft fordert dafür ja schon lange eine Änderung des Baurechts. Das kann ich nur befürworten.
Wissen Sie, wir haben wassersensibles Verhalten verlernt. Im Mittelalter wohnten die Menschen auf den Bergen und nicht im Tal, als Schutz vor Hochwasser und Krankheitserregern. Heute wollen wir mit Blick aufs Wasser wohnen. Das ist schön, aber es birgt auch ein Risiko.

Das Interview ist ausgekoppelt aus dem aktuellen Naturgefahrenreport des GDV, den Sie hier finden.

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