Marketing

13.03.2017

Senio­ren­ge­rechte Pro­dukte? Nur das nicht!

Rentner sind zahlungskräftige Konsumenten, wollen aber nicht als „alt“ gelten. Auch Waren sollten altersneutral vermarktet werden.

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Ältere wollen das Gleiche konsumieren wie Jüngere. Mit seniorengerechten Produkten können sie wenig anfangen. 

Manch einer wird sich noch an den Werbespot eines großen Schokoladenherstellers aus dem Jahr 1993 erinnern: Ein rüstiger Bergbauer war da zu sehen, mit Pudelmütze, fescher Sonnenbrille und schneeweißem Rauschebart. Mit dem Slogan „Aber Vorsicht, it’s cool man!“ pries er die neuen Minz-Täfelchen an – und läutete damit eine kleine Revolution in der Werbung ein. Denn der coole Alm-Öhi, Schauspieler Peter Steiner, war damals bereits 70 Jahre alt. Zum ersten Mal warb ein Testimonial jenseits der 60 für ein zielgruppenübergreifendes Produkt.

Graue Schläfen sind hip

Es tut sich was in Werbung und Marketing. Die Zeiten scheinen vorbei, in denen Ältere ausschließlich auf die Präsentation von Treppenlifte und Haftcremes, von Essen auf Rädern, Heizdecken oder Kaffeefahrten abonniert waren. So wirbt das Ü-60-Model Christie Brinkely sexy und lasziv für das amerikanische Luxuskaufhaus Barneys. Iris Apfel, 94-jährige New Yorker Stilikone, testet in einem Spot den neuesten Flitzer des französischen Autoherstellers Citroën. Auf einer Print-Anzeige der Zurich Versicherung prangt ein ergrauter, aber topfitter Snowboarder. Und die Fitnesskette Kieser Training setzt auf einen älteren, reichlich tätowierten Gitarristen, der noch jeden Riff mit vollem Körpereinsatz spielen kann.

Die Botschaft hinter derartigen Kampagnen ist klar: Alter muss neu gedacht werden. Und damit auch die Werbung, denn die Zielgruppe der Älteren wird in Zukunft so stark wachsen wie keine andere. Waren im Jahr 2000 noch 28 Prozent der Deutschen 60 Jahre und älter, werden es 2050 schon 38 Prozent sein. Die Konsumenten der Zukunft – es sind vor allem „reife“ Kunden.

Konsumfreudig und finanzstark

„Derzeit sieht es mit der Kaufkraft der Älteren goldig aus“, sagt Alexander Wild, Experte für Senioren-Marketing und Gründer von feierabend.de, Deutschlands größtem sozialen Netzwerk für Menschen ab 60. „Es ist die reichste Generation aller Zeiten, die da am Start steht. Viele haben gut vorgesorgt und gute Jobs gehabt.“ Laut Statistischen Bundesamt gaben die 55- bis 80-Jährigen 2015 pro Monat 2.273 Euro für den privaten Konsum aus – sieben Prozent mehr als noch 2011. Auch der Konsumanteil am verfügbaren Einkommen ist bei den Älteren am größten: Während die 35- bis 55-Jährigen 2014 nur rund 70 Prozent davon ausgaben, investierten die 65- bis 80-Jährigen gut 83 Prozent in den Erwerb von Produkten und Dienstleistungen.

„Alle Branchen werden von der Konsumfreudigkeit der Alten profitieren“, ist sich Marketing-Experte Wild sicher. Schließlich wolle man die Möglichkeiten der steigenden Lebenswartung aktiv auskosten und die vermehrte Anzahl von gesunden Jahren sinnvoll und sinnstiftend gestalten. Zum Beispiel beim Reisen. Gemäß einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zum Reiseverhalten der Deutschen gehen schon heute 55 Prozent der Ausgaben für Urlaubsreisen auf die die Altersgruppe ab 50 Jahren zurück. Bis 2025 wird der Anteil der Reisenden 60plus von aktuell 30 auf 40 Prozent anwachsen.

In der Automobilindustrie zeigt sich das gleiche Bild: Wer sich 2015 einen Neuwagen zulegte, war laut einer Studie der Universität Duisburg-Essen im Durchschnitt 53 Jahre alt. 1995 waren die Käufer noch 46 Jahre. Weit mehr als jeder Dritte, der einen werksfrischen Pkw fährt, ist heute 60 Jahre und älter.

Senioren niemals als alt bezeichnen

Wollen sie also auch in Zukunft ihre Waren an den Mann bringen, kommen Unternehmen, Werber und Marketingleute an den „Silver Consumern“ nicht mehr vorbei. Doch wie sieht gutes Senioren-Marketing aus? Wie konsumieren die Älteren von heute? „Sie wollen vor allem authentische, emotionale und witzige Werbung“, weiß Alexander Wild. „Obwohl man bei ‚witzig‘ darauf achten sollte, dass es nicht ins Lächerliche abdriftet.“ Eine „schrullige Oma“, die für ein neues Hightech-Gerät wirbt, ringt vielleicht der jungen Generation ein Lächeln ab. Ältere könnten solche Klischees durchaus verprellen. Der Mut zu älteren Models sei das A und O. Gern auch zehn bis 15 Jahre jünger als die avisierte Zielgruppe, denn zwischen gefühltem und wahrem Alter klafft bei den „Best Agern“ von heute eine gehörige Lücke.

Senioren-Marketing ist vor allem dann gut, wenn man es nicht explizit als solches wahrnimmt. Einen neuen SUV als „seniorengerecht“ zu bewerben, kann durchaus nach hinten losgehen. Auf den höheren Einstieg und die gute Rundumsicht lässt sich auch altersneutral hinweisen. Auch der berühmte „Seniorenteller“ hat sich längst überholt. „Halbe Portion“ klingt hier viel charmanter und spricht zudem junge, ernährungsbewusste Kunden an. Spätestens seit der Insolvenz des Seniorenhandy-Herstellers Fitage ist klar: Ältere wollen weiter an der Konsumwelt der Jungen teilhaben. Aber eine eigene Schublade und der Holzhammer-Hinweis auf extra große Tasten? Nein, danke. Dafür ist diese Käufergruppe viel zu konsumerfahren, heterogen und denkt selbst eher in Lebensstilen denn in Altersgruppen.

„Senior“ oder „Silver Ager“?

Zudem sind die Alten von heute offen für Neues wie nie zuvor. „Auf Markentreue darf man sich nicht mehr verlassen. Die Wechselbereitschaft ist viel größer geworden. Man lässt sich inspirieren. 40 Jahre nur Mercedes ist kein Muss mehr“, so Wild.

Mit der neuen Benennungseuphorie können die Älteren übrigens nur wenig anfangen. Wenn schon, dann der Klassiker „Senior“. Das zumindest ergab eine Umfrage unter 2.140 Mitgliedern der feierabend.de-Community. 61,3 Prozent gaben dem Begriff ihre Zustimmung, Bezeichnungen wie „Generation Gold“ oder „Silver Ager“ fielen hingegen durch.

Letztendlich kommt gute Werbung ohne konkrete Ansprache einer Altersgruppe aus. Shampooflaschen mit größerer Schrift, ein leichter zu öffnendes Marmeladenglas oder ein Ticketautomat, der sich intuitiv bedienen lässt – alles Modifikationen, gegen die auch Jüngere wohl nichts einzuwenden haben. Oft sind die Bedürfnisse der Älteren der kleinste gemeinsame Nenner unter allen Käufergenerationen.